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Rette mich, wer kann


Rette mich, wer kann


1. Auflage

von: Heinz Kruschel

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 29.10.2014
ISBN/EAN: 9783956551406
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 232

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Das ist eine Liebesgeschichte. Sie spielt auf dem Lande. Und sie spielt zu einer Zeit, als es auf dem Lande noch Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften gab, kurz LPG – oder wie der eine oder andere im Osten nach sowjetischen Vorbild auch zu sagen pflegte: Kolchosen …
In einer dieser LPG gab es zwei Buchhalterinnen. Deren zweite war die zu Beginn der Handlung gerade mal neunzehnjährige Ille. Also eigentlich heißt sie Ilse. Und so stellt sich die junge blonde Frau selber vor:
Ich heiße Ilse Pohlmann und arbeite als zweite Buchhalterin in der Genossenschaft Freier Bauer. Ich sehe nicht schlecht aus, na schön, ich habe ein bisschen dicke Beine, darum trage ich keine Mini-Röcke. Und mein Hals ist etwas kurz geraten, darum liebe ich ausgeschnittene Kleider. In zwei Jahren werde ich einundzwanzig, das betone ich mit einer gewissen Hoffnung, es heißt doch, dass sich der Mensch alle sieben Jahre erneuere, nicht komplett natürlich, aber das Wesen eines Menschen immerhin.
Meine Mutter meint zwar, ich solle meine Hoffnungen nicht so hoch schrauben, sonst würde ich eines Tages noch mit siebzig Jahren an eine Runderneuerung glauben.
Ich verstehe mich gut mit meiner Mutter, weil ich mit ihr über alles reden kann. Sie ist Milchprüferin, leitet den Dorfklub, und die Bauern sagen: „Se daut dauernd wat!“ Mutter braucht immer Bewegung, und die Leute unseres Dorfes brauchen sie.
Vater ist nicht mehr da. Er lebt im Westen, irgendwo, mit einer fremden Frau. Ich denke nicht an ihn, ich war noch so klein, als er davonlief.
Das komplette Gegenteil von Davonlaufen ist Hinkommen. Tatsächlich kommt ein junger Mann ins Dorf – und das hat Folgen für Ille. Allerdings ist das anfangs noch nicht absehbar – außer vielleicht im Schreibplan des Autors. Jedenfalls passiert Folgendes:
Neulich war ein junger Mann bei uns im Dorf, ein angehender Journalist, der eine Arbeit über die Kooperation schreiben will. Fritz Schönemann, unser Vorsitzender, hatte mal wieder keine Zeit für die Presse und überließ den Mann mir. Ich habe bisher jeden Zeitungsvertreter geschafft, ich kann gut erzählen. Schönemann wollte keinen Ärger mit der Zeitung. Organisiere gefälligst einwandfreie Artikel, verlangte er von mir.
So haben manche Liebesgeschichten auf dem Lande angefangen, als es dort noch LPGs gab und LPG-Vorsitzende und Leute, die von der Presse dachten, dass man der schon beibringen könne, wie einwandfreie Artikel auszusehen haben. Da mag der Journalist K. den Schriftsteller K. beraten haben.

Heinz Kruschel, 1929–2011, Sohn eines Bergmanns und späteren kaufmännischen Angestellten der Staßfurter Salzbergwerke, entging nur knapp dem für seine Generation typischen Schicksal, im finalen Aufgebot der letzten Kriegstage - dem "Volkssturm" - verheizt zu werden.
Noch ehe er seine Modelltischlerlehre beendet hatte, beschloss die Partei, in die er jung eingetreten war, dass er Neulehrer zu werden habe, und ließ ihn 1949/50 am Lehrerbildungsinstitut in Staßfurt studieren. Anschließend war er Lehrer in Sandersdorf - den Schülern jeweils ein Kapitel im Lehrbuch voraus -, danach in Magdeburg und Egeln sowie Direktor einer Erweiterten Oberschule in Havelberg.
Nach einem berufsbgeleitenden Fernstudium der Germanistik war er Journalist und Kulturredakteur bei der "Volksstimme" in Magdeburg. Ab 1963 lebte er als freier Schriftsteller in Magdeburg, bereiste im Auftrag von Illustrierten wie der "Für dich" Ungarn, Bulgarien, Usbekistan und Kuba und schrieb zahlreiche Erzählungen und Romane für Jugendliche und Erwachsene.
Sein Roman "Das Mädchen Ann und der Soldat" wurde 25 Jahre lang immer wieder neu aufgelegt, während Bücher wie "Der Mann mit den vielen Namen" oder "Leben. Nicht allein" erst nach erbitterten Auseinandersetzungen mit jenen Behörden, die Literatur zu genehmigen hatten, erscheinen durften.
Sein Roman "Gesucht wird die freundliche Welt", der als erster in der DDR das Thema des Umgangs mit straffällig gewordenen Jugendlichen thematisierte, wurde 1978 von Erwin Stranka unter dem Titel "Sabine Wulff" verfilmt.
Auszeichnungen:
Erich-Weinert-Preis der Stadt Magdeburg
Theodor-Körner-Preis
Banner der Arbeit
Literaturpreis des FDGB
Vaterländischer Verdienstorden
Eines Tages lernte ich das Fuchsschwanzmädchen kennen. Ich saß mit Rolf in der neuen Kaffeebar, in der die Bedienung so träge ist, und sie kam herein in einem schneeweißen Segelanzug, angetan mit weißen Schuhen. Sie war braun gebrannt und kam direkt auf unseren Tisch zu.
Mein Herz schlug bestimmt so laut, dass man es am Nachbartisch hören konnte. Ich ärgerte mich darüber.
Sie begrüßte uns und begann zu schwatzen. Ich bin ja auch nicht auf den Mund gefallen, aber das hatte ich noch nicht erlebt; bevor der Ober kam, hatte sie unter Garantie sechstausend Wörter gesagt, fünf Themen behandelt, während Rolf und ich höchstens ein dutzendmal Ja oder Nein sprechen oder mit dem Kopf schütteln konnten, einen größeren Spielraum hatten wir nicht.
Dann referierte sie über die Ausgestaltung der Bar, sie kenne den Maler gut, für die Wandgestaltung habe er eine völlig neue Technik verwendet.
Sie redete mich an, sie übersah mich nicht, ich war nicht etwa Luft für sie. Aber es wäre mir wohler gewesen, sie hätte mich nicht beachtet. Sie hatte einen Eiskaffee bestellt, ließ das schöne kalte Eis schmelzen, redete und rührte nervös in der milchigen Brühe. War das nun meine Konkurrentin?
Mir fiel ein dummer Vergleich ein: wie ein schönes Fischlein in Aspik.
Ich muss zugeben, dass sie gut aussah. Sie trug die langen Haare hochgebunden. Goldene Clips steckten an den Ohrläppchen.
Ihre Anwesenheit provozierte mich.
Sie tat mir nichts. Sie benahm sich sehr loyal, sie kannte Rolf schon lange, und ich wusste nicht, was sie einander bedeuteten. Rolf hatte behauptet, sie sei nicht mehr als eine Freundin aus der Kindheit. Aber Eleonora? Legte sie nicht schon wieder ihre Netze aus? Ich dachte an die Kellnerin aus dem Intelligenzklub, die Angst kroch mich an und hypnotisierte mich.
Ich rief den Ober, bestellte mir einen doppelten Kognak, trank ihn sofort aus und bestellte noch einen. Am Tage trinke ich sonst nie Alkohol, erst recht nicht bei dieser Hitze, aber diesmal tat ich es aus Unsicherheit, und so zeigte sich auch bald die Wirkung.
Ich fläzte die Ellbogen auf den Tisch und starrte das Mädchen an. Heute finde ich es dumm, wie ich mich damals benommen habe, aber damals gab es für mich nur einen einzigen Trost: Sie war älter als ich, viel älter, mindestens fünf Jahre.
Ich schluckte. Die Blonde unterhielt sich mit Rolf über bildende Kunst. Sie hätte vieles anders gemacht in dem neuen Wohnviertel. Die Plastiken stünden falsch.
Sie meckert. Die weiß alles besser, dachte ich.
Ich sagte nichts, trank nur, und nach dem dritten Doppelten sagte ich: »Der Kognak ist patent, direkt Konfekt, da werden einem die unsympathischsten Menschen noch verständlich. Verstehen Sie das, Fräulein Fuchsschwanz?«
»Ich habe dir doch von ihr erzählt, sie heißt Eleonora«, sagte Rolf im Tone eines erfahrenen Krankenpflegers und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ach, richtig, das ältere Fräulein ...«
Rolf wurde unruhig. So kannte er mich noch nicht. »He, he«, sagte er, »was ist mit dir los?«
Eleonora zog pikiert die Brauen hoch. Jetzt sah sie richtig wie eine Eleonora aus. Die Menschen ähneln mit der Zeit ihren Namen, finde ich. Das ist komisch, weil sie sich die Namen ja nicht selber gegeben haben, aber sie gewöhnen sich so sehr an sie, dass sie schließlich so aussehen, wie ihre Namen klingen.
Meine Tante Brunhilde aus Wuppertal zum Beispiel wiegt fast zwei Zentner, und ihre Haare sind chemieblond, und wenn sie in ein Café geht, bestellt sie Torte und Sahne und trinkt hinterher ein Bier, eine Brunhilde eben.
Das ist mit den Hunden ganz ähnlich. Werden die Hunde mit den Menschen alt, so ähneln sie sich, wie ein altes Ehepaar sich ähnelt, das ein langes Leben miteinander gelebt hat.
Also, sie saß wie eine Eleonora da, kühl, steif, glatt und geleckt, schön wie Konfekt in Luxuspackung, hygienisch wie Lavendelseife. Ach, hatte ich eine Wut.
»Hast du zuviel getrunken?«, fragte Rolf.
Sah er das nicht? »Zu wenig, um alles ertragen zu können«, sagte ich.
»Es ist doch hübsch hier«, meinte er.
Ich dachte: Allein gehe ich jetzt nicht 'raus. Ich müsste zwar mal ’rausgehen, weil meine Blase drückt, aber ich gehe nicht. Ich möchte nicht zum Gespött der Leute werden, und die letzte Abzweigung vor der gläsernen Schwungtür kriege ich bestimmt nicht von allein, da muss einer dabei sein. Und dann erst die frische Luft da draußen.
Nein, das muss hier durchgestanden werden.
»Haben Sie Semesterferien?«, fragte mich die Blonde.
»Nein, Feierabend«, sagte ich.
»Studieren Sie?«
»Natürlich. Herdbuchzucht und Bullenmast«, sagte ich, »ich bin eine Pomeranze vom Lande.«
»Ach, das hätte ich nicht gedacht.«
»Ich habe mich auch sehr fein gemacht heute«, sagte ich. Mein Kleid war in der Achselhöhle dunkel gefärbt, vor lauter Wut schwitzte ich.
»Ich bitte Sie«, sagte Eleonora, »so war das doch nicht gemeint.« Dann wandte sie sich an Rolf. »Deine Freundin scheint ganz einfach fertig zu sein, wer weiß, wie viel Arbeitsstunden sie heute schon hinter sich hat.«
Das hätte ich ihr sagen können. Ich bin verantwortlich für die Versorgung unseres Erntekomplexes. Heute bin ich um vier Uhr aufgestanden, dreimal mit dem Wagen in der Kreisstadt gewesen, und gegen sechzehn Uhr habe ich Feierabend gemacht, um noch in die Stadt zu fahren.
Rolf legte seine Hand auf meinen Arm und drückte ihn und lächelte.
Aber ob er mich begriff? Das glaube ich nicht, ich begriff mich selber nicht. Mit einem Schlage wurde ich sehr müde.
Ich vertrage nicht viel Alkohol. Ein paar Minuten bin ich aggressiv, dann mehrere Stunden todmüde und am nächsten Morgen benebelt. Duhn ist besser als dumm.
Rolf machte mir keine Vorwürfe. Er bestellte eine Taxe und wollte mich nach Hause bringen.
Das wäre noch schöner, dachte ich, so blau bin ich nicht, Mutter würde nur spotten, wenn ich mit dem Wagen käme: Konntest wohl nicht mehr geradestehen. Nein, das Geld konnte Rolf sparen, wir würden mit dem Bus fahren, Hauptsache ist, dass ich ihn an meiner Seite weiß, schon wegen der Kurven. Und ihn in der Kaffeebar zurücklassen, allein mit dem schönen Fisch, nein, auf keinen Fall.

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