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Ulrich Hinse

Das Gold der Andentempler

Ein historischer Roman über den Aufenthalt der Templer bei dem Volk der Chachapoya in den Anden (Das Gold der Templer, Teil 3)

 

ISBN 978-3-95655-782-8 (Buch)

ISBN 978-3-95655-783-5 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung …

 

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1. Kapitel

Es war erst wenige Wochen her, als die kleine Truppe der Tempelritter aus der Alten Welt, genauer aus dem Norden Portugals, mit ihrem umgebauten Wikingerschiff Le Buscard über das Atlantische Meer gesegelt war. Die Templer waren in einer neuen, für sie völlig fremden Welt angekommen.

Freundliche Menschen hatten sie in ihrem Dorf am Rande eines fast undurchdringlichen Waldes empfangen. Und sie lernten das Leben am großen Strom kennen, das so ganz anders war, als sie es aus Europa kannten. Für sie schien es das Paradies zu sein. Obst, Fleisch, Fisch in Hülle und Fülle. Es konnte ohne Verbote gejagt und gefischt werden und der Wald lieferte die Früchte.

Trotzdem wollte ihr Führer, der Tempelritter Joao Lourenco, der sie mit seinen nautischen Kenntnissen bis hierhin in die Neue Welt geführt hatte, wieder zurück.

Das ergab für Pablo de Alvares, Joaos Stellvertreter, keinen Sinn. Er hatte einen anderen Plan. Er wollte einen Teil der Templer überreden, mit ihm in der Neuen Welt zu bleiben. Sollte Joao doch zurückfahren, mit wem er wollte. Er und seine Gefolgsleute würden hier bleiben. Hier, wo sie das Paradies vermuteten. Aber so einfach war es nicht, diesen Plan umzusetzen. Bei Anwesenheit von Joao würde ihm wahrscheinlich nur Ragnar, der normannische Riese und persönliche Gefolgsmann, folgen.

Die Zeit, seinen Plan zu realisieren, war für Pablo gekommen, als sich Joao mit seinem Vertrauten Kasim und einem weiteren Templer auf einem Jagdausflug befand. Dass dieser Ausflug länger dauerte als geplant, dafür hatte Pablo gesorgt. Über den Dolmetscher, dem Kaplan der Templer, hatte er bei den Gastgebern ein Gerücht gestreut, was vermutlich zum Tod der Jäger führte. Ihm konnte das nur recht sein.

Kaum war Joao mit dem muslimischen Arzt Kasim, seinem vertrauten Freund, zur Jagd mit einem Einbaum abgefahren, setzte Pablo seinen Plan um. Für einige der Templer war das im Stich lassen ihres Anführers schon eine schlimme Aktion. Sie empfanden es als Bruch ihres Eides, den sie dem Orden geschworen hatten. Ewige Treue und Gehorsam. Sich in Abwesenheit von Joao Lourenco von Bord ihres Schiffes in der Flussmündung zu stehlen und auch noch das anvertraute Gold mitzunehmen, war eindeutig ein Treuebruch. Aber warum hatte der Sturkopf Joao sich auch mit Pablo de Alvares gestritten.

Ihr neuer Führer, Pablo de Alvares, hatte Recht. Sie waren hier im Paradies angekommen und genau das hatte Joao Lourenco bestritten. Pablo des Alvares hatte die Zeit eines Jagdausfluges von Joao genutzt und an Bord abstimmen lassen. Nur gut zehn Templer wollten am Le Buscard bleiben, um auf die Rückkehr von Joao zu warten.

Die anderen wollten mit Pablo de Alvares und seinem Adlatus, dem riesigen, blonden Normannen, auf den Booten der Eingeborenen, die sich Chachapoya nannten, weiter ins Paradies fahren.

Fra Domenico, der Kaplan der Templer, hatte sich als Sprachgenie erwiesen und bei ihrem Aufenthalt bei den Eingeborenen innerhalb kürzester Zeit deren Sprache gelernt. So hatte er für Pablo bei den Urwaldhändlern gefragt, ob sie ihn und seine Templerbrüder in ihre Heimat mitnehmen würden.

Die freundlichen Eingeborenen hatten nichts dagegen. So waren die Templer mit ihren Goldkisten und ihren persönlichen Gegenständen, auf die sie nicht hatten verzichten können oder wollten, von Pablo auf die Einbäume der Chachapoya verteilt worden. Alle, die in den Booten saßen, hatten sich freiwillig Pablo de Alvares angeschlossen und fuhren jetzt mit den Eingeborenen den Fluss hinauf ins Paradies, wie sie glaubten.

Die Flut schob die Einbäume recht zügig voran, obwohl die Boote, in denen die Kisten mit dem Gold waren, ziemlich tief im Wasser lagen. Trotzdem tauchten ihre Paddel nur gelegentlich ins Wasser, um die Boote in Richtung zu halten. Von den Abtrünnigen sah sich niemand mehr um. Sie saßen in den Booten und schauten nur nach vorn.

So ist es richtig, dachte Pablo. Immer nach vorne blicken, nicht nach hinten. Vorne ist die Zukunft, hinten ist die Vergangenheit.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis sich die Einbäume hinter einer schwimmenden Insel den Blicken der Zurückgelassenen entzogen. Die große, schwimmende Insel zog an ihnen vorbei und für einen Moment glaubte Pablo, er hätte zwischen dem Gewirr aus Pflanzen und Ästen die Gestalt von Joao gesehen. Dann schüttelte er den Gedanken ab und blickte wieder nach vorn. Joao mit seinem Schiff Le Buscard, die sie in diesen Teil der Welt gebracht hatten, waren Vergangenheit. Er wollte nicht mehr daran denken. Nicht zuletzt um seinen Verrat an Joao Lourenco, dem er ja noch vor seinem Vater Treue und Loyalität geschworen hatte, zu vergessen. Aber Joao war eben kein Edelmann, sondern ein einfacher Emporkömmling. Er war nur von einfachem Blut, ein Hidalgo. Wusste der Teufel, was den dreiundzwanzigsten Großmeister des Templerordens bewegt hatte, den jungen Mann aus der Nähe von Aachen im Rheinland mit Führungsaufgaben auszustatten. Eigentlich hätte es ihm, dem spanischen Edelmann, zugestanden, die Führung der Templer zu übernehmen. Da das nicht geschehen war, hatte er schon immer überlegt, wie er Joao seine Position streitig machen konnte. Er dachte an ein spanisches Sprichwort: "Wer seinen guten Ruf verloren hat, geht als Toter durchs Leben." Es ging also darum, dem Hidalgo seine Ehre zu nehmen. Das war für diesen schlimmer, als getötet zu werden. Genau darauf hatte er seinen Plan aufgebaut.

Jetzt war er der Führer der fast dreißig Templer, die sich ihm angeschlossen hatten. Er war am Ziel seiner Träume, wenn auch anders, als er das im Heiligen Land und später in Frankreich und Spanien noch geglaubt hatte.

Es fiel auch nicht schwer zu vergessen, denn die fremdartigen Eindrücke, die auf die Europäer einstürmten, ließen keinen Gedanken an die Vergangenheit zu.

Eine ganze Weile ging es mit den Einbäumen in der Nähe des Ufers entlang, dann bogen sie in ein Gewirr kleinerer und größerer Seitenarme ab. Schon bald hatten die Templer die Orientierung verloren. In der Nähe des Ufers fuhren sie durch eine Art Tunnel unter den Pflanzen in die Tiefe des Urwaldes. Während der Fahrt mussten sie oft den Kopf einziehen, um Ästen und herunterhängenden Lianen aus dem Weg zu gehen.

Zwischendurch schlossen sie sich in einer kleinen Gruppe den Chachapoyajägern auf einen Dschungelmarsch an, um an Fleisch zu kommen. So leicht wie die Eingeborenen auf ihren nackten Füßen über den Waldboden liefen, so schwer taten sich die Templer mit ihren Lederstiefeln. Aber Zeit zum Klagen blieb nicht. Zu viel Neues stürzte auf sie ein. Sie sahen Termitenbauten, Feuerameisen, schöne Schmetterlinge, diverse Pilze und große, bunte Vögel, die von den Chachapoya Ara genannt wurden. Lianen wuchsen von unten nach oben. Sie waren hart und sehr scharfkantig. Sie sahen ein Faultier, mehrere Schlangen, einen riesigen Frosch, diverse Fledermäuse und natürlich Affen. Sie hatten Besuch von einer kleinen Vogelspinne und ärgerten sich über die Moskitos in allen Größen.

Sie genossen den einzigartigen Duft des Urwaldes. Die gejagten Tiere, zu denen auch kleine Affen gehörten, wurden mit Blasrohren erlegt. Die Templer staunten, mit welcher ungeheuren Treffsicherheit die Eingeborenen das Blasrohr verwendeten.

Die Tiere wurden direkt am Lagerplatz aufgebrochen, ausgeweidet und am Feuer gebraten. Die Europäer hatten anfangs enorme Schwierigkeiten, das Fleisch von kleinen Affen zu essen. Zu sehr erinnerten sie die Tiere an kleine Kinder, die auf dem Feuer geröstet wurden. Aber nach und nach verloren sie ihre Scheu vor dem Affenfleisch.

Über einen Seitenarm des großen Stroms fuhren sie mit den Einbäumen an faszinierenden Mangrovenwäldern vorbei. Unzählige Leguane, brüllende Affen und rabengroße Vögel mit riesigen, gelben Schnäbeln begleiteten sie auf der Fahrt. Die Templer waren immer noch der Meinung, dass sie sich dem Paradies auf Erden näherten. Jeden Morgen neu zog der Tag in das grüne Paradies ein und bemalte das Land mit Farben in tausend Variationen. Die großen Bäume, oft mehr als dreißig Manneslängen hoch, streckten sich wie Ritter in undurchdringlichen, grünen Rüstungen der Sonne entgegen und hielten mit ihren Kronen das Licht der Sonne vom Boden ab, der oft in einem diffusen Dämmerlicht erschien. Es gab Bäume mit dicken, festen Stacheln an ihren Stämmen und von vielen Bäumen hingen Kletter- und Schlingpflanzen herunter. Zwischen den im Dämmerlicht stehenden Baumstämmen leuchteten Blüten der verschiedensten Arten.

Die Chachapoya hatten ihren Spaß mit den Europäern, die hinter jeder Flussbiegung wieder etwas Neues entdeckten und sich darüber wie Kinder freuten. Einer der Eingeborenen formte mit seinen Händen einen Trichter um seinen Mund und stieß ein markerschütterndes Geheul aus. Erschrocken flatterte ein riesiger Schwarm gelb-blauer Vögel mit langen Schwanzfedern aus den Bäumen auf. Eine Horde Affen flüchtete kreischend durch die Wipfel buntblühender Bäume. Ragnar glaubte, in dem Gewirr der Wurzeln der Mangroven einen Drachen gesehen zu haben. Er machte den Chachapoya darauf aufmerksam. Der nickte nur.

„Qaraiwa, Qaraiwa“, sagte er nur und ruderte weiter. Doch das Tier folgte dem Einbaum. Einer der Templersergeanten, der in der Mitte des Bootes saß, beugte sich weit über die Bordkante.

„Nicht so weit aus dem Boot beugen“, riet ihm der zweite Templer, der vor ihm saß, „nicht dass du hinausfällst.“ Genau in diesem Moment war es schon geschehen. Der Templer verlor sein Übergewicht und fiel ins Wasser.

Als er aus dem graubraunen Wasser wieder auftauchte, war das Boot schon etliche Ellen weitergefahren. Auch wenn die Chachapoya gleich ihre Paddel ins Wasser hielten, um das Boot zu stoppen, so trieb die Strömung den Sergeanten immer weiter den Fluss hinab. Er begann sofort, auf das Boot zuzuschwimmen. Unmittelbar hinter dem Boot sahen die Insassen jetzt den dicken, geschuppten Schwanz auftauchen, der mit einem dumpfen Schlag aufs Wasser schlug. Dann tauchte genau zwischen Boot und Schwimmer der Kopf des Qaraiwa auf. Der Templer wurde mit seinen Schwimmbewegungen immer hektischer. Er kreischte in Todesangst auf.

„Nicht schwimmen. Nicht schwimmen. Tot stellen!“, riefen ihm die Bootsinsassen zu und paddelten bereits zurück, um ihren Mann aus dem Wasser ziehen zu können. Aber in seiner Panik strampelte er immer hektischer mit den Beinen und schlug mit den Händen nach dem auf ihn zu schwimmenden Tier. Das Boot hatte es gerade noch geschafft, sich wieder neben den Schwimmer zu schieben. Einer der Chachapoya schlug mit dem Paddel auf den Schuppenkörper des Tieres. Dann packte der zweite Templer seinen Freund und versuchte ihn ins Boot zu ziehen.

„Hör endlich auf, mit den Beinen zu strampeln. Du musst dich tot stellen!“, brüllte er und hielt den Schwimmer an seiner Weste fest. Die Eingeborenen paddelten inzwischen wieder wie von Sinnen, um sich mit dem Boot von dem Tier zu entfernen. Aber der Qaraiwa ließ sich nicht abschütteln.

Noch immer hing der Templer bis zur Hüfte im Wasser, obwohl der zweite Mann kräftig zog und dabei Gefahr lief, auf der anderen Seite aus dem Boot zu kippen. Dann ging alles ganz schnell.

Direkt neben dem Boot war unter der Wasseroberfläche der Schuppenkörper der Echse zu sehen. Sie näherte sich den noch im Wasser hängenden Beinen des Templers. Der wollte gerade die Beine ins Boot ziehen, als ein riesiges, aufgerissenes Maul aus dem Wasser schoss und beide Beine bis zu den Oberschenkeln packte. Die mächtigen Kiefer schlossen sich um die Beute, dann versanken sie wieder im Fluss. Gegen die riesige Panzerechse war Gegenwehr ausgeschlossen. Der Templer wurde aus dem rettenden Boot gezogen und verschwand unter Wasser, während sein letzter Schrei noch über dem Fluss verklang. Die Echse würde ihre Beute unter Wasser festhalten, bis sie ertrunken war. Dann würde sie den Körper entweder fressen oder den Leichnam unter Wasser zwischen den Mangrovenwurzeln deponieren, bis er verrottet und so leichter zu zerreißen war. Für den Templer gab es keine Rettung mehr. Die Chachapoya wussten das und paddelten weiter, ohne sich um das Opfer des Qaraiwa zu kümmern.

Obwohl Pablo anderer Meinung war, wurden seine Einwände zwar von Domenico übersetzt, aber nicht beachtet. Nach kurzer Zeit gab der Tempelritter auf. Er bat den Kaplan, noch ein kurzes Gebet zu sprechen. Dann wandte auch er sich wieder dem Fluss zu. Der Sergeant war das erste Opfer, das der Urwald von ihnen gefordert hatte.

Einen halben Tag später, sie waren gerade wieder von einer, dieses Mal erfolglosen Jagd zu den Booten zurückgekehrt, tauchte ein Schwarm rosaroter Delfine in der Nähe der Boote auf. Aufgeregt zeigte Ragnar seinem Ruderer die Tiere. Unheimliche Klick- und Pfeifgeräusche waren zu vernehmen. Die Templer hatten derartiges noch nie erlebt. Der Fluss war voller Delfine, die schnell mit der Strömung schwammen. Ein einzelner Delfin schoss durchs flache Wasser. Er prallte an das schlammige Ufer und wäre fast aufs Trockene geraten.

„Phujpuri“, sagte der Eingeborene nur. Er kümmerte sich nicht um die Tiere, weil sie für ihn alltäglich waren, während die Europäer nur staunten, weil sie Delfine nicht aus Flüssen kannten, sondern nur aus dem Meer.

„Irgendetwas hat ihn in Panik versetzt“, rief Ragnar.

Ein zweiter Delfin kam aus dem Wasser, rammte das Ufer und landete klatschend im Morast. Er konnte sich aber nicht so schnell befreien wie sein Vorgänger. Er wälzte sich am Ufer und stieß ein markerschütterndes Quieken aus. Die Templer sahen genauer hin. Das Schwanzende des Fisches fehlte. Sein Bauch war aufgerissen und die Eingeweide hingen bereits heraus. Langsam rutschte das Tier über den nassen Schlamm wieder in den Fluss zurück.

Ein Stück weiter flussaufwärts zerriss das Quieken eines Schweins die Nacht. Vögel flogen auf, Affen wachten auf und brüllten verwirrt. Die Chachapoya sahen auf das Wasser, das richtig brodelte, so als koche es.

„Was ist das denn?“, fragte Pablo und als die Antwort kam, konnte er wenig damit anfangen.

„Es sind Piranhas.“

„Ja und was sind Piranhas?“

"Das sind Raubfische, die andere Tiere, aber auch Menschen innerhalb kürzester Zeit auffressen, wenn sie ins Wasser gefallen sind. Sie treten in großen Schwärmen auf. Also jetzt bloß nicht ins Wasser fallen oder auch nur die Hand ins Wasser hängen. Sie wäre in wenigen Augenblicken bis auf die Knochen abgefressen.“

Pablo zog es im Nacken ein wenig. Es gab auf diesem Fluss doch mehr Tiere, die eher ins christliche Fegefeuer oder in die Hölle gepasst hätten als ins Paradies. Sie paddelten ohne Unterlass weiter und kurze Zeit später war das Wasser wieder so ruhig, wie sie es gewohnt waren.

Als es darum ging, wieder einen Lagerplatz zu finden, wandte sich Pablo an den Templerkaplan.

„Ich würde gerne heute am Abend mit einem Chachapoya zum Angeln fahren. Das ist bestimmt eine ganz besondere Erfahrung“, ließ Pablo wissen, „und ich würde dich gerne mitnehmen, damit ich auch verstehe, was die Chachapoya sagen.“

Fra Domenico fragte einen der vorne im Boot sitzenden Eingeborenen und der hatte offenbar nichts dagegen.

„Wenn wir angelegt haben, um unser Nachtlager aufzuschlagen, wird er sofort fahren, um Fische zu fangen. Dann können wir mit“, teilte der Priester dem Ritter mit.

Am späten Nachmittag legten sie an einer der riesigen Sandbänke an, um dort ihr Lager aufzuschlagen. Pablo fragte über Fra Domenico den Eingeborenen, ob sie jetzt mit ihm zum Fischen gehen dürften und deutete dabei auf seine selbst gebastelte Angel.

Nur wenig später, nachdem sie das Boot entladen hatten, legten sie mit dem Einbaum ab. Ein Teil der Templer auf der Sandbank beobachtete das Ablegen und konnte sich ein Lästern nicht verkneifen. Zwei Templer zum Fischen im Einbaum, das konnte gar nicht gut gehen. Höchstens zwanzig Ellen geben sie ihnen, dann würde das Boot kentern. Aber es kenterte nicht.

Fra Domenico saß vorn, dahinter Pablo und der Chachapoya hockte hinten. Ihre Sitzhaltung sah aus, als verrichteten sie gerade ihre Notdurft. Weil sie so tief saßen, hatten sie ihre Köpfe fast zwischen den Knien. Aber es funktionierte. Lautlos glitten sie über das Wasser bis zu einem kleinen Seitenarm. Schon nach wenigen Paddelschlägen sahen sie links am Ufer den ersten Qaraiwa. Der Chachapoya steuerte direkt auf ihn zu.

„Wo ein Qaraiwa am Ufer lauert, sind große Fische nicht weit", übersetzte Fra Domenico. Kurz bevor sie ihn erreichten, tauchte das Augenpaar unter. Ganz wohl war ihnen immer noch nicht. In der Dämmerung unter den dichten Laubkronen der Bäume konnten sie kaum etwas sehen. Das Wasser war spiegelglatt. Ihr Boot lag derart tief, dass bei der kleinsten Unachtsamkeit Wasser hereinschwappte.

Langsam steuerten sie weiter ins flache Wasser. Hier wimmelte es nur so von Fischen. Die selbst gebaute Angel erwies sich aber als nutzlos. Der Chachapoya stieß mit einem kurzen Speer zu. Die Methode war sehr effektiv. Etliche Fische hatte der Eingeborene gefangen und achtlos hinter sich ins Boot geworfen. Stück für Stück suchten sie das Wasser ab, schoben sich durch umgestürzte Bäume und über Untiefen hinweg.

Plötzlich hörten sie aus dem Wald ein lautes Pfeifen. Es konnte nur ein ihnen unbekanntes Tier sein, das in Todesangst pfiff. Der Chachapoya meinte, dass richtiges Fleisch auch nicht schlecht wäre, und ahmte auf seinen Fingern einen ähnlichen Pfiff nach. Doch das Tier ließ sich nicht anlocken. Also fischten sie weiter.

Weiter vorn sahen sie wieder Augenpaare von mehreren Kaimanen. Eine Horde Affen tobte aufgeschreckt über ihnen in den Bäumen. Ein Stachelrochen glitt lautlos durch das Wasser.

Als die Dunkelheit kam, paddelte der Eingeborene zurück. Mit schlafwandlerischer Sicherheit steuerte er den Einbaum zur Sandbank, wo die drei schon sehnsüchtig erwartet wurden. Sie luden die Fische aus und gesellten sich zu den anderen, die mehrere Lagerfeuer entzündet hatten. Die Fische wurden auf lange Stöcke geschoben und über dem Feuer gebraten. Schon nach kurzer Zeit sanken die Europäer hintenüber und schliefen fest ein.

Der kommende Morgen begann wie die nächsten Wochen und Monate mit dem gleichen Ritual. Durch das Kreischen und Pfeifen der Tiere des Urwaldes geweckt, begannen die Eingeborenen, die Boote zu beladen. Dabei halfen die Templer und schon nach kurzer Zeit ging es weiter den Flusslauf hinauf. Plötzlich fühlte Pablo eine Hand an seinem Oberarm.

„Schaut einmal“, hörte er Fra Domenico sagen. Der Ritter drehte sich um und folgte mit den Augen dem ausgestreckten Arm. Domenico deutete auf einen Baum direkt am Ufer des Flusses. Die Rinde war fast vollständig von Farnen und Moos überwuchert. Am äußersten Ende eines weit ausragenden Astes hingen Tillandsien in meterlangen Büscheln und Strängen herab und es sah aus, als sei dem Baum ein Bart gewachsen.

„Ja, ein toller Baum“, brummte Pablo, „aber kein Grund, mich besonders darauf aufmerksam zu machen.“

„Ich meine doch nicht die Pflanzen“, antwortete Domenico fast beleidigt, „schaut doch einmal genauer auf den ausladenden Ast. Oberhalb der Hängepflanzen vor dem Farn liegt eine ziemlich große, schwarzgefleckte Raubkatze.“

Pablo sah intensiv zu dem Baum hinüber. Tatsächlich war mit Mühe in dem Farbenspiel des Blätterwaldes die große Raubkatze mit dem gefleckten Fell zu erkennen. Sie lag flach auf dem Ast und starrte auf das Wasser, wo sich einige Ententiere tummelten.

„Was ist das für ein Tier und wie heißt es?“

Domenico fragte einen der Chachapoya und wies noch einmal zu dem Baum hinüber. Der Eingeborene stieß einen Ruf des Schreckens aus und zeigte für die anderen Boote aufgeregt zu dem Baum.

„Otorongo, Otorongo!“, rief er wie in Panik. Und alle ruderten zügig weiter, um schnell in die Mitte des Flusses zu gelangen.

„Scheint ein gefährliches Tier zu sein“, brummte Pablo zu Domenico hinüber.

„Ja, sonst wären sie nicht so in Panik geraten. Vielleicht haben wir ja noch einmal Gelegenheit, ein anderes Tier aus der Nähe zu sehen.“

„Na ja, wünschen sollten wir uns das wohl nicht.“

Am nächsten Morgen durchquerten Vögel aller Größen und Farben in Schwärmen den Himmel über der Sandbank oder sie saßen in Scharen bei den bunten Früchten, die sie ernährten. Winzige Kolibris standen im Schwirrflug vor leuchtenden Orchideenblüten und saugten den Nektar heraus. Kleine Finkenvögel, ähnlich wie Meisen, fütterten ihre zwitschernden Jungen und hoch über den Wipfeln schwebte majestätisch ein Geier. Die Wärme der Sonne legte sich wie eine wollene Decke über das Paradies und die Kühle des jetzt verdunstenden Wassers erzeugte ein sanftes Wehen, welches die Blätter bewegte.

Bevor sie abfuhren, stand der Kaplan mit einigen Chachapoyas am Rand einer kleinen, grünen Insel. Sie beugten sich hinunter, um etwas zu beobachten. Einige der Templer wurden neugierig und kamen näher. An einer Wurzel im Boden scharrte einer der Chachapoya mit einem Stab in der Erde. Fast augenblicklich kamen Ameisen aufgeregt an die Oberfläche. Zur Überraschung der Templer waren die Tiere fast daumendick. Einer der Templer wollte ein Tier anfassen, aber der Chachapoya schlug ihm mit seinem Stock auf die Finger, so dass er sie erschreckt zurückzog. Der Eingeborene erklärte etwas Domenico, der dann übersetzte.

„Ein Tag kann verdammt lang werden, wenn man von einer dieser Riesenameisen gebissen wird“, erklärte Fra Domenico den ungläubig schauenden Templern, „solch ein Biss verursacht den schmerzhaftesten Insektenbiss überhaupt und hält genau einen Tag lang an. Er heilt aber ab, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Der Biss soll sich anfühlen, als ob man über glühende Kohlen läuft und dabei einen langen Dorn in der Ferse stecken hat. Ich glaube nicht, dass du die Erfahrung machen willst“, wandte er sich an den Mann, der noch immer die schmerzende Hand hielt.

 

Inzwischen waren die Boote wieder beladen und es begann, wie jeden Tag, die unermüdliche Fahrt gegen den Strom.

„Wir werden in Kürze zu den Katarakten kommen. Dort strömt das Wasser auf einer längeren Strecke über Felsen hinab. Da werden wir nicht paddeln können, sondern die Boote über Land ziehen müssen“, erzählte Fra Domenico.

„Woher weißt du das?“, brummte der Templer, „und wie lang ist die Strecke, die wir ziehen müssen?“

„Das haben mir die Chachapoya nicht gesagt.“

„Ja, dann frag sie doch“, herrschte Pablo den Priester lauter an, als er eigentlich gewollt hatte.

Erschreckt zuckte der Kaplan zurück und wäre fast aus dem schmalen Einbaum gefallen.

Es ergab sich eine längere Debatte zwischen Domenico und den beiden Chachapoya im Boot. Pablo wurde langsam ungeduldig. Er überlegte, wie es ihm möglich wäre, auch die Sprache der Eingeborenen zu erlernen. Es musste einen Weg geben. Es konnte nicht sein, dass nur der Priester das Sprachrohr der Templer war. Pablo wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich Domenico wieder meldete.

„Die kleinen Wasserfälle sind mehr als zehnmal so lang wie der Le Buscard. Mehr war nicht zu erfahren. Das Schiff Le Buscard ist der einzige Längenvergleich. Es ist also wenig hilfreich. Was aber viel schwerer wiegt, ist der Hinweis, dass in der Nähe der Wasserfälle ein Volksstamm lebt, der den Chachapoya nicht freundlich gesinnt ist, und die Eingeborenen sind froh, uns dieses Mal dabei zu haben. Es könnte zu Kämpfen kommen.“

„Wann soll das sein? Heute noch?“

„Nein, heute bestimmt nicht. Aber morgen oder übermorgen müssten wir schon damit rechnen.“

„Gut, dann kann ich alle Templer entsprechend vorbereiten. Die feindlichen Wilden werden uns kennenlernen.“

Die Miene von Pablo verfinsterte sich und er begann unbewusst, schon jetzt die Ufer abzusuchen. Natürlich ohne Erfolg. Bei der nächsten Rast kam Ragnar auf Pablo zu.

„Ihr seid seit einiger Zeit nervös. Ich konnte Euch vom anderen Boot aus gut beobachten. Ist irgendetwas, was Euch beunruhigt?“

„Ja, es ist irgendetwas. Ich werde heute Abend alle Templer zusammenrufen und dann werden wir darüber beraten. Wir müssen uns wahrscheinlich auf einen Kampf mit eingeborenen Wilden einrichten.“

„Na, das kann doch wohl kein Problem werden, oder?“

„Nein, ich mache mir über den Kampf keine Gedanken. Ich will nur nicht überraschend angegriffen werden. Ich will den Feind sehen und ihn nicht nur erahnen müssen. Wir werden morgen schon unsere Ledersachen anziehen, auch wenn wir darunter fürchterlich schwitzen. Das Leder schützt unser Leben.“

„Übertreibt Ihr da nicht?“, wollte Ragnar wissen. Pablo kniff die Augen zusammen. Kritik an seinen Entscheidungen war nicht das, was er dulden wollte.

„Nein, Ragnar, ich übertreibe nicht“, herrschte er den Normannen so laut an, dass andere Templer aufmerksam wurden. Dass die beiden in Streit gerieten, war die absolute Ausnahme. Das heißt, bisher hatten sie noch nie diese Erfahrung gemacht.

Pablo bemerkte, dass sein Ausbruch das Interesse der anderen Templer hervorgerufen hatte, und er riss sich zusammen. Er murmelte noch etwas in seinen Bart, dann konzentrierte er sich wieder auf die Uferböschung. Nach einer Weile wandte er sich wieder Domenico zu.

„Frag doch die Chachapoya noch mal nach dem Otorongo und was ihn so gefährlich macht.“

Kurze Zeit später kam die Antwort.

„Der Otorongo ist ein gefährliches Raubtier. Er ist sehr stark und muss ein kräftiges Gebiss haben, mit dem er sogar den Panzer von Schildkröten zerbeißt. Es gibt auch schwarze Tiere. Die werden Yagueretehú genannt. Das Tier kann sehr weit springen und mit seinen Zähnen beißt es seinen Opfern in den Schädel. Deshalb wird in Kuelap in einem Turm ein Otorongo gehalten, der die Gottesurteile vollstreckt.“

„Ein Tier, das Gottesurteile vollstreckt? Und was ist denn Kuelpa und der Turm?“

„Nicht Kuelpa, sondern Kuelap.“

„Wie auch immer. Und was ist das?“

„Da lassen sie sich nicht aus der Reserve locken. Ich denke, ich werde es noch irgendwann erfahren. Wenn ich es weiß, berichte ich es sofort.“

„Das will ich auch meinen“, knurrte der Templer und wandte sich wieder den langsam an ihnen vorbeiziehenden Ufern zu. Nach kurzer Zeit legten die Eingeborenen ihre Einbäume an einer Sandbank an. Das abendliche Ritual des Lagerns begann von Neuem.

Pablo hatte Domenico gebeten, den Chachapoya zu erklären, dass die Templer darüber beraten wollen, wie gegen die zu erwartenden Feinde vorgegangen wird. Sie sollten sich keine Sorgen machen, wenn ihre Gäste sich zusammensetzten und sie ausschlossen.

Die Europäer scharten sich um ihren Führer. Pablo erzählte ihnen, was er von Domenico gehört hatte und warum er Wert darauf legte, dass alle ab morgen früh ihren Lederwams anziehen. Die Tempelritter sollten sogar ihr Kettenhemd überstreifen.

„Wir haben ja gesehen, dass sie mit ihren Blasrohren Giftpfeile verschießen. Da sind wir mit unseren Lederwesten und Kettenhemden einfach besser geschützt. Ich will hier im Wald keinen Mann verlieren. Wir wollen alle das Paradies erreichen.“

Der eine oder andere murrte zwar, aber es gab keinen lautstarken Protest. Pablo würde schon wissen, was für sie das Beste war.

Am nächsten Morgen sahen die Templer aus, als würden sie im Heiligen Land oder in Spanien gegen die Sarazenen marschieren. Bei den Rittern fehlten nur die weißen Mäntel mit dem Roten Kreuz. Ragnar konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, sehr zum Unmut von Pablo de Alvares. Schon gegen Mittag schwitzten die Templer in ihren Kampfsachen, dass sie nicht mehr klar denken konnten. Aber die Wasseroberfläche wurde unruhig und sie hörten das Rauschen der Wasserfälle. Pablo war froh, dass sie bald an den Punkt kamen, wo sie gefordert wurden.

Knirschend schoben sich die Einbäume einer nach dem anderen auf das schmale, sandige Ufer. Die Chachapoya schickten sofort einige ihrer Späher in den Wald, in dem diese nach wenigen Augenblicken spurlos untertauchten, während die Europäer bei den Booten zurückblieben. Jeder lauschte in den Wald hinein, doch die Geräusche des Waldes, die ihnen jetzt schon vertraut waren, änderten sich nicht. Nach einiger Zeit kamen die Späher zurück. Offenbar hatten sie nichts festgestellt, was zur Sorge Anlass gegeben hätte.

Die Einbäume wurden entladen, eine Wache aus Chachapoya und aus Europäern bei den ausgeladenen Sachen eingeteilt. Alle anderen schoben mit vereinten Kräften die Einbäume in den Wald hinein. Sie kamen nur langsam voran. Vorne hackte ein Chachapoya mit seiner Steinaxt den Weg frei. Die Steinaxt war bei Chachapoya ein Werkzeug, das für alles diente. Es eignete sich zum Schneiden ebenso wie zum Hacken und zum Verteidigen. Die Eingeborenen verstanden, damit genauso gut umzugehen wie die Europäer mit ihren Schwertern und Messern. Sie hatten vor allem den Vorteil, nicht zu rosten. Genau das passierte mit den Waffen und den eisernen Gegenständen der Europäer. Auch die Schwerter blitzten nicht mehr in der Sonne. Sie hatten alle einen rostigen Überzug, der sie stumpf werden ließ. Anfangs hatten die Templer noch versucht, den Rost zu entfernen. Sie hatten mit Sand immer wieder geschliffen. Aber Stunden später hatte sich der Rost wieder auf den Klingen ausgebreitet.

Was jetzt im Wald zu einer wirklichen Plage wurde, das waren die Mücken. In dichten Schwärmen fielen sie über die Eindringlinge her. Auf dem Fluss waren sie sicher vor den Quälgeistern, im Wald wurde das Stechen fast unerträglich. Hinzu kam, dass eine Anzahl der Templer vom Durchfall betroffen war. Alle Augenblicke musste einer nach links oder rechts hinter einen Baum, um sich zu entleeren. Teilweise versperrte ein Buschgeflecht mit unangenehmen Stacheln den Weg, die Bäume wurden immer größer. In der Ferne war das Gebrüll von Affen zu hören. An einer grasgrünen Minilagune legten sie Rast ein. Hier wollten sie die Nacht verbringen, um die Boote am nächsten Morgen die restliche Strecke bis zum Ufer oberhalb der Stromschnelle zu schieben.

Es gab hier Wildschweine. Am Ufer hatten sie den gesamten Boden komplett umgegraben. Einer der Chachapoya machte auf dem lehmigen Boden ein Feuer. In einem Keramiktopf kochte er Wasser. Dann ging er zielgerichtet zu einem Baum am Rande der Lichtung und schnitt ein Stück von einer Liane ab, die er in dem Wasser kochte. Er gab den vom Durchfall Geschüttelten einen Becher von dem Sud. Skeptisch probierten die Betroffenen. Der Eingeborene deutete an, dass nur wenig davon getrunken werden darf. Bei Arno de Montbrun kam die Warnung zu spät. Er nahm einen großen Schluck.

„Viel hilft viel“, hatte er noch gemurmelt, dann spuckte er in hohem Bogen das Getränk wieder aus.

„Das ist ja bitter wie Galle“, schimpfte er.

Die anderen waren gewarnt, sie nippten nur ganz vorsichtig. Dann warteten sie. Es dauerte nicht sehr lange und der Drang zum Entleeren war verschwunden. Fra Domenico machte große Augen. Diese medizinischen Kenntnisse wollte er erlernen. Jetzt wusste er, was Bernhard Nivelon fasziniert hatte, der auf dem Le Buscard dem Arzt Kasim zur Hand gegangen war. Bernhard hatte sich in der Neuen Welt von Anfang an um Pflanzen gekümmert, die Heilerfolg versprachen, und etliche davon gesammelt. Der Mann war doch nicht so einfältig, wie er das geglaubt hatte.

Jetzt ließ sich Domenico zeigen, welche Liane dafür gesorgt hatte, dass der Durchfall in kurzer Zeit verschwunden war. Der Eingeborene, der sich Yumpe nannte, erklärte, in seinem Dorf gebe es noch viel bessere Mittel, wie zum Beispiel die Zweige des Goiababaumes oder die Rinde des Cajú.

Domenico hatte gerade den Richtigen gefragt. Yumpe war stolz darauf, seine Kenntnisse an den Europäer weitergeben zu können. Die eigenen Leute hatten offenbar wenig Interesse daran. Für Domenico wurde es schon bald zu viel. Er schien überfordert. Manche Pflanzen unterschieden sich nur an den Zacken der Blätter oder an der mehr oder weniger groben Struktur der Rinde.

Aber eines war ihm wichtig, das war das Baumharz, welches der Chachapoya vom Baum kratzte, auf den Boden legte und mit einem glühenden Ästchen berührte. Das Harz glimmte sofort auf und brannte von alleine weiter. Yumpe packte das glimmende Harz auf eine dicke Schicht grüner Blätter, band sie zusammen und stellte dieses Körbchen in den Einbaum. Er grinste Domenico an.

„Jetzt habe ich immer Feuer.“

Da inzwischen ein Teil der Leute zurückgegangen war, um die restlichen Boote und Sachen zu holen, hatten Domenico und Yumpe Zeit, sich weitere Bäume und Pflanzen mit Heilwirkung anzusehen. Sie gingen zu einem nicht sehr weit entfernt stehenden Baum und Yumpe schlug mit seiner Steinaxt eine Kerbe in die Rinde. Sofort quoll ein weißer Saft aus dem Stamm und tropfte auf den Boden. Der Eingeborene deutete auf einen Schnitt am Oberarm Domenicos, den er sich an einem Dorn zugezogen hatte. Dann nahm er etwas von dem weißen Saft, strich ihn behutsam über die Wunde und innerhalb kürzester Zeit trocknete die Flüssigkeit. Die Wunde war verschlossen. Domenico staunte. Ein Wundermittel bei Verletzungen.

„Das kann man auch trinken“, grinste Yumpe und streichelte seinen Bauch. Domenico probierte einen Finger voll. Die Flüssigkeit war angenehm süß, aber sehr schnell ausgelutscht. Die Reste schob er mit der Zunge immer wieder im Mund hin und her. Der Stoff klebte die Lippen zusammen, haftete sich an die Zähne an und es brauchte eine ganze Zeit, bis er ihn im Gaumen zu Röllchen gedreht und ausgespuckt hatte. Den Baum merkte sich Domenico ganz besonders. Er würde ihn immer wiederfinden, da war er sicher. „Komm einmal her, ich will dir etwas zeigen“, rief Yumpe und winkte Domenico zu sich.