Impressum

Alexander Kröger

Der Untergang der TELESALT – Originalausgabe

Wissenschaftlich-phantastischer Roman

 

ISBN 978-3-95655-757-6 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

Das Buch erschien erstmals 1989 im Verlag Neues Leben, Berlin (Band 220 der Reihe „Spannend erzählt“). Dem E-Book liegt die Originalausgabe von 1989 zugrunde. Es wurde lediglich auf neue Rechtschreibung umgestellt.

 

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Prolog

Das Pragmatische an Sefa ließ sich eben nicht verleugnen. Kaum dass es mir gelang, sie zu einem Tee in den Sessel zu bewegen ... Es schien, als entdecke sie nach der langen Reise die Wohnung, alle in den Jahren angesammelten Gegenstände, die Umgebung neu; die Reise war passé ...

Sefa begann dann auch sehr bald zu rumoren, Mitbringsel in den Möbeln zu verteilen, sie herumzurücken. Sie meinte, wenn man nach längerer Abwesenheit heimkehrt, müsse man den ersten Eindruck kritisch auswerten; denn nur in solchem Augenblick würden sich die Mängel des Domizils offenbaren, bevor Gewohnheit und Routine ihren Mantel wieder darüber breiteten

Da sie mich aber kannte, versuchte sie nicht, mich in ihre Geschäftigkeit einzubeziehen. Höchstens da und dort ein zu schweres Stück mit zu heben oder zu rücken, animierte sie mich mit der gebotenen Zurückhaltung.

Denn ich empfand ganz anders. Ich habe das Nachklingen gern, ein gewisses Ausruhen, das den Raum zwischen dem Hochgestimmten und dem Alltag scheinbar dehnt ...

So ließ ich den ersten Abend nach unserer Rückkunft hingehen, erreichte, dass mir Sefa zu später Stunde bei einem Glas Martini Gesellschaft leistete, wir uns vor dem Zubettgehen noch ein durchaus amüsantes Videostück anschauten und danach in einer zärtlichen Stunde endlich wirklich heimkehrten.

Wir schliefen aus, frühstückten gemächlich, und erst dann machte ich es mir vor dem Videor gemütlich, um mir die während der Reise zu Hause eingegangene Post anzusehen.

Glücklicherweise hielt sich die Zahl der Zuschriften in Grenzen. Nun, die guten Bekannten und Freunde wussten natürlich, dass wir ein halbes Jahr unterwegs gewesen waren, und außerdem, dem Bedürfnis, sich zu sehen, zu sprechen, konnte man ja jederzeit über Videor nachkommen.

Neben einigen meist verfallenen Einladungen, der Kopie einer ausführlichen Literaturrecherche über eine um mehrere Hundert Jahre zurückliegende Raumexpedition, die mich außerordentlich interessierte, einige Zu- oder Absagen von Dienstleistungsbetrieben, die auf Anfragen und Beschwerden unsererseits befriedigend oder unzureichend antworteten. Diejenigen, die das zu stark brummende Staubabweisungssystem der Marke „Bovist“ eingebaut hatten, das, außer dass es eben stark brummte, ausgezeichnet funktionierte, wollten überprüfen. Das Verklemmen der Papierpresse hingegen, so beschieden andere, sei wohl darauf zurückzuführen, dass wir sie unsachgemäß beschickten oder der Anteil an Folien zu hoch wäre.

Nur noch wenige Zuschriften waren jenem Ereignis gewidmet, das vor Jahresfrist seinen Abschluss gefunden, seinerzeit viel Erregung hervorgebracht, aber auch ein langes Nachdenken heraufbeschworen hatte. Und ich musste unwillkürlich daran denken, wie jeder aus unserer Crew sich damals vor spontanen, begeisterten, kommentierenden, doch auch kritischen Briefen kaum retten konnte. Viel Mühe hatte mich das gekostet, da ich meinen Ehrgeiz, jede dieser Entäußerungen zu beantworten, wieder einmal nicht unterdrücken konnte.

Bei einem Schreiben jedoch verweilte ich. Ich ließ es zweimal über den Bildschirm gehen, und dann rief ich Sefa. „Lies das mal, bitte“, forderte ich sie auf.

Sefa las laut:

 

„Lieber Sam Martin!

Unser Verlag plant eine Weltausgabe gesammelter Berichte Eurer Expedition. Jeder einzelne Eurer Mannschaft sollte aus seiner Sicht seine Erlebnisse und Eindrücke szenisch aufschreiben. In der von uns beabsichtigten Veröffentlichung werden wir danach das durch gleiche Auffassungen Objektivierte neben jenes stellen, das in gleicher Situation von jedem von Euch subjektiv empfunden wurde. (Du ermisst, wie viel Arbeit wir uns dabei selbst vorbehalten!)

Wir meinen aber, so nicht nur spannende Lektüre zu produzieren, sondern der Fachwelt mit hoher Wahrscheinlichkeit Neues, bisher gar Übersehenes, zu übermitteln.

Die Beiträge sollen 300 Schreibseiten nicht überschreiten und in Jahresfrist bei uns eingereicht werden. Archivmaterial, die von Euch mitgebrachten Aufzeichnungen, stehen jedem zur Verfügung. Die Unternehmung ist mit dem Weltkonsortium für Raumfahrt abgestimmt; es begrüßt das Vorhaben. Technische Hilfe und Beratung unsererseits sind gewährleistet.

Wir würden uns im Namen von Millionen Lesern freuen, wenn Du Deine Mitwirkung zusagtest - bitte bald.

Mit besten Grüßen

Universum-Verlag

Nasat Direktor“

 

Sefas Mundwinkel zogen nach unten. „Hm“, brummelte sie. Sie sah mich, der ich tief im Sessel saß, von oben herab mit schräg gehaltenem Kopf abwägend an. „Machst du’s?“

Ich zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Auf Anhieb kann ich das nicht beantworten. Aber ohne Reiz ist es nicht …“

„Die Zeit dazu hätten wir vielleicht. Aber das allein ist wohl nicht ausschlaggebend.“ Sie sagte das in dem Ton, der bei ihr so viel wie „von mir aus“ bedeutet. Sie würde, entschiede ich mich für die Sache, die Angelegenheit mit Gleichmut betrachten, mich keineswegs behindern, aber auch nicht unterstützen. Sefa und ich, wir verstehen uns.

Wir verstehen uns seit unserer Kindheit, hatten während der langen Pausen in unserer Beziehung eigentlich nie aufgehört, uns zu verstehen. Und in diesem Augenblick musste ich denken, für uns beide war es weder unschicklich noch erstaunlich, dass wir nach meiner Rückkehr erneut die Verbindung suchten, als wir feststellten, dass wir beide zum Zeitpunkt ohne Partner seien. Und so kam es, dass für mich der Willkommensgruß der Erde doppelt herzlich war.

Obwohl Sefa drei Jahre vor mir geboren wurde, war sie mit ihren fünfundfünfzig Jahren eine sehr attraktive Frau - und das nicht nur aus meiner Sicht. Sie ist nicht allzu groß und nicht allzu schlank, stets von frischem Aussehen und frischem Gemüt. Übertrieben sentimental gibt sie sich nicht, und es geht ihr längst nicht alles so tief unter die Haut wie mir - oder sie hat das all die Jahre erfolgreich verborgen.

Nach meiner Rückkehr und der erneuten Liaison mit Sefa hatten wir uns beide nun entschlossen, unsere Tätigkeiten zu koordinieren. Sie arbeitete als Disponentin in einem dieser Großmagazine, die für den täglichen Bedarf, vom Nagel über Bildhauerton bis hin zum Harzer Käse, alles im Angebot hatten. Mich kann man ohnehin nach der Instruktion nur noch für Orbit-, höchstens aber Mondreisen einsetzen, im Normalfall. Vielleicht auch - wegen meiner Erfahrungen - als Kommandant in einem Nimmerwiederkehrer. Aber es steht wohl ziemlich fest: So schnell - also zu meinen Lebzeiten - würde man sich nicht wieder zu einer solchen Unternehmung entscheiden nach diesem TELESALT-Debakel.

Also hatten wir uns gesagt: Wir werden reisen. Der Konditionscomputer ist der Meinung, wir hielten beide zum Beispiel noch die dritte Gebirgstouristik-Stufe aus. Das gestattete zwar nicht mehr Gänge in Seilschaften, aber der Risi in der Hohen Tatra passe noch ins Konzept. Wobei unser Sinn jedoch mehr nach Krähwinkel steht - in gemäßigteren Höhenlagen und jenseits aller Routine-Touristik-Routen.

Und wir machten kein Nur-Reise-Programm aus solchen Vorhaben. Es ist ein neuer, auch für uns ungewohnter Abschnitt des Lebens, eine Probierphase sozusagen. Und niemand sollte glauben, er sei für derartiges zu alt.

Ich muss gestehen, das Angebot dieses Universum-Verlages enthielt etwas Verlockendes, und es würde unseren anderen Ambitionen kaum im Wege stehen. „Weißt du“, sagte ich, zu Sefa gewandt, „ich höre einfach ein wenig herum. Ich verstehe es so, dass es ein Teamwerk werden soll, also nur Sinn hat, wenn alle - oder wenigstens die meisten - mitmachen. Der Brief ist acht Wochen alt. Möglicherweise bin ich für die bereits ein Ausfaller. Wenn zwei, drei der Mannschaft abgesagt haben, ist das Projekt vielleicht schon gestorben ...“ „Ruf doch diesen Verlag, dann weißt du es, brauchst hier nicht herumzurätseln!“

Ich schüttelte den Kopf. „Lieber rede ich mit meinen Leuten. Da erfahre ich gleich mehr Meinungen und Gründe. Und die Zeit dazu habe ich - oder?“

„Sicher“, entgegnete Sefa. „Mit der Pflege unserer vernachlässigten Rosen hast du ja ohnehin nicht viel im Sinn, und zum Friseur muss ich auch.“ Sie fuhr mit gespreizten Fingern durch ihr kräftiges, kurzes, grau meliertes Haar, dass es knisterte.

Ich vergewisserte mich, zehn Uhr, frühe Mittagszeit, gut, um jemanden zu Hause anzutreffen.

Aber ich benötigte dennoch beinahe zwei Tage - in Abständen natürlich -, um alle meine Gefährten, mit denen ich fünf Jahre wachend, mehr als doppelt so viele schlafend zugebracht hatte, zu erreichen.

Als erste rief ich natürlich Lisa. Sie war unser unermüdlicher Geist gewesen, nicht nur, weil sie auf den Familiennamen Ghost hörte, sondern weil sie von ihrer Tätigkeit an Bord her wirklich mit Fug und Recht als solcher bezeichnet werden konnte. Sie betreute uns medizinisch, kulturell, und sie hatte uns auch psychologisch aufzurichten, falls bei dem einen oder anderen die Raumkrankheit zupackte. Nun, und sie war meine Computersympathica, also meine errechnete Gefährtin für die Reise. Und es lag sicher nicht am Computer - wahrscheinlich hatte man ihm nicht das Unendlichkeitskalkül eingegeben -, dass sich jetzt nicht Lisa an Sefas Stelle befand. Auch das würde eine Rolle spielen, entschlösse ich mich, jenen Bericht zu schreiben.

Lisa ist auch vor fünfzehn Jahren nicht das gewesen, was man landläufig unter einer schönen Frau versteht. Ein hübsches rundes Gesicht, umrahmt von mittellangen, mittelblonden Haaren. Graue, kleine Augen standen über meist rosigen Wangen, und aus ihrem geschwungenen Mund lugten beim Lachen Mäusezähnchen. Sie verabscheute die neumodischen pharmazeutischen Schlankmacher - ich übrigens auch -, und so trug sie einen stattlichen Busen und auch kleine Pölsterchen zur Schau.

Ich erreichte Lisa beim Haareföhnen, sie war mangelhaft bekleidet, und auf ihren nackten Schultern standen Wasserperlen.

„Ich grüße dich, Lisa!“, sagte ich.

„Hallo“, erwiderte sie freundlich. „Sam! Du überraschst mich.“ Sie hielt dabei den Kopf schief, weil sie den Wellkamm in eine Haarsträhne gewickelt hatte. Kein Anzeichen vom alten Groll in ihrem Gesicht ...

„Soll ich später ...?“, fragte ich zögernd.

„Ist der Anblick dir so neu, Sam Martin?“ Sie lächelte. „Hast ohnehin lange nichts von dir hören lassen.“

„Wir waren verreist - Kamtschatka ... Sind vorgestern erst zurückgekommen.“

„Aha!“ Mir schien, Lisa wurde aufmerksamer. „Deshalb hast du dich nicht gerührt. Von einem Rufspeicher hältst du nichts, nicht wahr?“

„Hast du etwa ...?“

„Habe ich!“

„Wer denkt denn so etwas!“

„Charmanter bist du auch nicht geworden.“

„Weißt du ...“ Einen Augenblick lang wollte ich mich rechtfertigen. In der Tat konnte ich einen solchen Speicher nicht leiden. Er nötigte einen als höflichen Menschen, mit Leuten Verbindung aufzunehmen, die man sonst schnell abgefertigt hätte. Bei Lisa wäre das natürlich anders gewesen, aber dass sie mich zu sprechen wünschte, hätte ich nicht gedacht.

„Schon gut, Sam!“ Sie unterbrach mich lachend, zog die Strähnen aus dem Kamm und schüttelte das Haar, das einige Silberfäden mehr aufschimmern ließ. „Du rufst wegen dieses Universum-Verlages, nicht wahr?“

„Woher weißt du ...?“ Als ich sie ausgesprochen hatte, merkte ich, wie einfältig meine Frage war. Lisa verunsicherte mich, mir schien, etliches von ihrer natürlichen Überlegenheit, die ich früher an ihr so schätzte, hätte sie wiedergewonnen.

„Weil du der letzte bist - bis auf Friedrun, die ist zurzeit unauffindbar.“

„Und?“

„Was und? Machst du mit?“

„Wollte erst hören, was ihr darüber denkt. Du bist die erste, die ich frage.“

„Na freilich mache ich mit. Und ich sage dir gleich, ihr kommt nicht durchgängig gut dabei weg! Und du solltest auch ... Gerade du, Sam! Es könnte eine gute Sache werden. Vieles blieb damals unausgesprochen, was ausgesprochen werden sollte ... Und als Anthropologe könntest du vielleicht Neues … auf jeden Fall für viele Leser Interessantes beisteuern. Ich war doch meist nur die Blitzableiterin, die Mutmacherin und die, welche den Weinbrand reichte, wenn’s scheinbar nötig war. Und dann, so glaubt ihr doch, habe ich das Mannschaftsklima verdorben!“

„Hm“, brummelte ich. „Eigentlich ... Ich bin nicht sicher, ob ich so etwas kann. Am Ende locke ich mit dem, was ich aufschreibe, keinen Hund hinter dem Ofen hervor.“

„Die vom Verlag wollen helfen. Und ich glaube, es steckt mehr dahinter, als die Sache an sich vermuten lässt!“ Lisa betrachtete ihr Haarwerk in einem Handspiegel. Dann blickte sie schräg zu mir. „Die anderen sind alle dabei, bis auf Friedrun eben. Oh, entschuldige!“ Sie sah in eine andere Richtung. „Ich bekomme Besuch. Sam, ich rufe wieder. Wäre an deiner Meinung zu meiner Konzeption interessiert. War schön, dass du mich - zuerst gerufen hast ...“ Lisa hatte es eilig.

„Ich danke dir, Lisa. Nur, die Konzeptionen sollten wir tunlichst nicht austauschen ...“

„Nur grob, nur grob ... Tschüss!“ Sie winkte mir freundlich lächelnd zu, und ihr Bild kroch auf einen winzigen Punkt zusammen.

 

Trots Lisas Zuspruch - ich kannte sie und wusste, dass sie gern, einmal begeistert, ein wenig übertrieb - rief ich weiter und erreichte als nächsten Bruno Brice, unseren ehemaligen Kommandanten.

Ich hatte ihn bei Gartenarbeiten erwischt. Er trug einen Sombrero, hatte sich offenbar nach meinem Ruf vor das Gerät gesetzt, das auf einer Bungalow-Terrasse stand, und während wir uns begrüßten, schob ihm jemand eine dampfende Tasse zu, aus der er ab und an einen Schluck nahm.

Mit Bruno hatte ich kein besonders herzliches Verhältnis, vielleicht keiner von uns. Er war der Kommandant. Das muss bei aller Kameradschaftlichkeit a priori eine gewisse Distanz schaffen. Und die Sache mit Friedrun hat bestimmt nicht zur Stabilisierung unseres Miteinanders beigetragen. Außerdem hatte der Computer ebenfalls seine Bedenken angemeldet, was das Verhältnis zwischen uns beiden anbelangte. Das allein zu wissen aber half, ein erträgliches Auskommen herzustellen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir einmal ernsthaft aneinandergeraten wären in all den Jahren.

Bruno war Pragmatiker. „Aber ja, Sam“, sagte er, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. „Da ist mein Tagebuch, das Bordjournal steht uns zur Verfügung, was soll also viel passieren. Ich habe bereits angefangen und echten Spaß daran. Wenn’s denen nicht gefällt, gebe ich’s meinen Enkeln zum Lesen. So was Aufgeschriebenes ist doch etwas Bleibendes. Mach ruhig mit. Hast allzu oft mit deiner Meinung hinterm Berg gehalten. Jetzt kannst du das alles loswerden.“

Ich bedankte mich bei Bruno, wünschte ihm Erfolg und schaltete mich, nachdenklich geworden, weg.

Da war etwas dran. Wenn jetzt jeder Gelegenheit nahm, die Ereignisse darzustellen, wie sie sich aus seiner Sicht, aus seinen Emotionen heraus vollzogen, wie wir aber aus Disziplin, Rücksichtnahme, Unkenntnis oder Dummheit über sie entschieden, geurteilt hatten, konnte schon etwas Brauchbares entstehen, etwas für die Nachwelt Interessantes. Und das selbst auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere Beitrag nicht ganz glückte.

Friedrun, die ehemalige Computergefährtin Brunos, unseren Bordingenieur, erreichte ich also nicht, was ich bedauerte. Auf Friedruns Meinung hätte ich großen Wert gelegt. Ich glaube, sie war der intelligenteste Teilnehmer der Expedition und gleichzeitig - zumindest aus meiner Sicht - die charmanteste Frau, nicht nur der Crew.

Blieben noch Carlos Nmokuma, der ehemalige Navigator, und Inge Tschautse, die Computer- und Elektronikspezialistin, die beiden Sympathici, die auch nach der Reise zusammengeblieben und, wie es hieß, weiterhin unzertrennlich waren.

Nach zwei vergeblichen Versuchen erreichte mein Ruf Inge. „Ah, Sam!“, rief sie, ein wenig außer Atem. „Ich bin gerade vom Einholen rein. Bist du endlich zurück! Warst über deinen Anschluss nicht zu erreichen. Machst du mit bei Universums? Klar doch! Wir haben das nicht leicht, Carlos und ich, sind stets versucht, uns auszutauschen, verstehst du? Wie geht es dir? Hättest wenigstens Lisa sagen können, was du treibst. Wir dachten schon“, Inge lachte ein wenig anzüglich, „du wärst mit Friedrun auf und davon. Hast von ihr auch nichts gehört, was? Carlos ist ein paar Tage nicht da. Du weißt ja, er hatte Schwierigkeiten mit dem linken Auge. Sie haben ihm eine neue Linse gezüchtet, die jetzt eingesetzt wird ...“

Inge war die alte geblieben. Quecksilbrig lebhaft, heiter, sorgte sie mit ihrer ewigen Plapperei für Unterhaltung, der Stoff ging ihr offenbar nie aus. Natürlich fiel sie uns auch öfter auf die Nerven. Bei einem bestimmten Grad bemerkte sie es meist selber, oder Carlos machte sie darauf aufmerksam. Dann konnte sie auch gut für eine Weile in sich gehen, ohne dass sie darunter etwa gelitten hätte.

Carlos hingegen war ganz andersgeartet. Er hatte vielleicht neben seiner tiefbraunen Haut auch etwas von dem Stoischen seiner Häuptlingsvorfahren aus Zentralafrika gerettet. Dennoch steckte er voll trockenen Humors, vieles, was er sagte, hatte einen doppelten Boden, den man oftmals erst im Nachhinein gewahrte. Und es schien mir sicher: Carlos würde Wertvolles zu diesem Bericht beitragen. In seiner zurückhaltenden Art hat er seinerzeit bestimmt eine Menge von den Ereignissen aufgenommen, in ihnen gesehen, worüber er nicht gesprochen, sich nicht ausgetauscht hatte. Nicht einmal mit Inge. Insofern auch fand ich an diesem Projekt immer mehr Gefallen.

Ich verabschiedete mich von Inge, nicht ohne dass ich ihr zusagen musste, sie bei Gelegenheit zu besuchen, dann, wenn Carlos wieder zurück sein würde. Ich solle ja Sefa mitbringen. Sie wolle sie unbedingt kennenlernen, eine Frau, die gleich zwei andere, und so prachtvolle, ausgestochen hätte ...

Eigenartig empfand ich, dass uns, die wir nach der Expedition auseinandergelaufen waren - ich zum Beispiel hatte mich seitdem mit keinem der alten Crew je getroffen -, nun diese Geschichte einander wieder näher brachte und - erging es den anderen so wie mir - in einer eigenartigen Spannung band.

Noch am selben Tag sagte ich dem Verlag meine Mitarbeit an diesem sonderbaren Bericht zu.

 

Über eine Woche benötigte ich, um das heranzuschaffen, was ich glaubte, für diese Unternehmung zu brauchen. Zunächst besorgte ich das eigentlich Nebensächliche: Mit Bedacht wählte ich die anscheinend beste Diktatschreibmaschine mit Endlosspeicher und Schirm, Umbrecher und Vorleser und natürlich mit einem Schnelldrucker.

Für einige dieser nicht unkomplizierten Geräte musste ich Leistungsbons herausrücken, von denen ich aber - wegen der hohen Raumprämie - ohnehin genügend besaß. Sogar Sefa brummelte deswegen nicht. Im Prinzip schwärmte sie mehr fürs Praktische. Haushaltsluxus zum Beispiel lockte sie stets aus der Reserve.

Der Magaziner nähme, wie er mir versicherte, die Geräte, wenn ich sie pfleglich behandle, wieder zurück nach dem Gebrauch.

Dann begann ich mir das Wesentliche zu besorgen. Konzept und Ergebnisbericht unserer Reise, eine Kopie des Bordjournals. Diese war nicht so einfach zu erlangen. Obwohl ich der letzte war, der mit dieser Arbeit begann, brauchte ich - wie die anderen vorher - eine Sondergenehmigung, die ich aber glücklicherweise videophonisch einholen konnte. Was im Allgemeinen noch fehlte und worüber zum Beispiel Lisa arg klagte - sie rief mich deswegen sogar noch zweimal an -, waren die alten Unterlagen zur TELESALT-Unternehmung, die ich mir ja, aus einem allgemeinen Interesse heraus, bereits beschafft hatte, und ich überstellte sie - was ich wahrscheinlich nicht gedurft hätte - auf Lisas Telespeicher. Dabei probierte ich gleich meinen neuen Vorleser aus.

An einem sonnigen Frühherbsttag, Sefa verpflanzte in unserem kleinen Gewächshaus Orchideen, saß ich vor all meinen Gerätschaften und einem Berg Schriften in der löblichen Absicht, das Werk zu beginnen ...