Impressum

Alexander Kröger

Robinas Stunde null

Robina Crux, 2. Teil

 

ISBN 978-3-95655-680-7 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

Das Buch erschien erstmals 2004 im Verlag KRÖGER-Vertrieb Cottbus.

 

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Prolog

Sophie Merhoff stand mit fünf anderen Marspionieren der provisorischen Besatzung des Bond-Kosmodroms auf der geschlossenen Kuppelterrasse. Noch war das grandiose Schauspiel, dem sie beiwohnten, nicht zu Ende: In etwa 300 Metern Entfernung verflüchtigte sich langsam die ungeheure Wolke rötlichen Staubs und gab die Konturen eines merkwürdigen Gebildes frei: Den Raumkreuzer TELESALT mit dem huckepack geladenen Raumboot.

Da sagte einer der Zuschauer: „Ich glaube, wir können jetzt.“

Sofort wandten sich alle dem Fahrstuhl zu. Gesprochen wurde kaum. Unten drängten sie in die Schleuse. Es schien, als fänden sie es auf einmal lästig,, dass die Gebäude noch immer irdische Bedingungen bieten mussten, obwohl sich in der Marsatmosphäre genügend Sauerstoff befand. Eilig schritten sie dem Schiff zu, das nun, scharf kontrastierend, im Licht Sunnyboys, wie ein riesiges Monument aus der Ebene ragte.

Rechts rollte aus dem Gerätepark der größte mobile Spezialkran heran, den die Marsianer zu bieten hatten.

Am Schiff regte sich nichts.

In einem Geländefahrzeug traf, ebenfalls vom Kosmodrom kommend, Mark Sander, der Leiter des Marsprojekts, ein. Er gesellte sich zur Gruppe, sprach nicht, seine Rechte wuselte nervös am Verschluss seines Overalls.

Die Neugierigen traten zögernd näher, als ginge es zu einer sakralen Handlung. Im zentimeterdicken, frisch abgelagerten Staub zeichneten sich markant die Fußspuren ab. Der Boden strahlte Wärme.

Der schwere Kran rückte heran. Der Fahrer bugsierte das mächtige Gerät bis knapp an den Rumpf der TELESALT. Summend schob sich der klobige Teleskopausleger nach oben. Sein Kopf mit dem Geschirr verharrte über dem Raumboot. Die Stahlseile baumelten.

Auf dem leicht gewölbten Oberdeck des Schiffes wurde der Deckel eines Notausstiegs aufgeschlagen. Eine Gestalt hievte sich heraus.

Mark Sanders rief „Hallo!“ und winkte enthusiastisch.

Spontan taten es ihm die meisten der Zuschauer gleich.

Der Mensch oben, dem ein zweiter folgte, winkte kräftig zurück.

„Sie hängen an“, raunte Sophie.

Alle sahen gebannt nach oben, verfolgten die Szene eines sensationellen Ereignisses. Eine Handkamera surrte.

Das Anhängen bereitete offenbar keine besonderen Probleme. Die beiden Menschen oben ergriffen die Seile und hängten die Schlaufen - für die Zuschauer von unten nicht erkennbar - peripher an. Nach wenigen Minuten zeigten die beiden an, dass sie die Last vertäut hatten.

Fast unmerklich verlängerte sich der Kranausleger. Die vier Seile oben strafften sich.

Ein Stoppzeichen, und dumpf klopfend lösten sich die Klammern, die das Boot bislang am Trägerschiff gehalten hatten.

Die Akteure zogen sich zum Ausstieg zurück. Nur noch Kopf und Schultern waren zu sehen. Plötzlich tauchte dazu ein Megafon auf. „Hiev an!“, ordnete eine Frauenstimme an.

Der Ausleger wuchs, das abgestützte Fahrwerk des Krans knirschte, bekam sichtbar mächtigen Druck, und man spürte förmlich, dass die Seile oben sangen.

Erst als ein leichter Drall die Last drehte, wurde es offenkundig, dass es schwebte. Die Zuschauer klatschten Beifall.

Langsam schwenkte der Ausleger die Last über die Ebene. Dann ließ sie der Maschinist behutsam bis auf etwa zwei Meter über den Boden absinken und versetzte den Kran in Schrittgeschwindigkeit.

Die kleine Schar folgte.

Vor der großen Schleusenhalle übernahm ein Portalkran das Boot. Zwei Männer dirigierten es ins Innere. Das schwere Tor schloss sich.

Das auf den Boden der Halle herabgelassene nostalgische Raumgefährt wurde einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Man berührte die graue Haut, diskutierte über Kratzer und Einschläge an Bug und Stummelflügeln. Ratlosigkeit herrschte an den Triebwerken: Nichts ließ erkennen, dass sie sich je in Betrieb befunden hätten.

Die beiden Männer, die vordem bugsierten, untersuchten den Eingangsverschluss. Sie vermeldeten nach einer Weile, dass er wohl ohne Problem zu öffnen sei.

Es dauerte 20 Minuten, bis die Messgeräte irdische Atmosphäre in der Halle anzeigten.

Die beiden Männer blickten zu Mark Sander. Er nickte ihnen zu und ordnete dann an: „Baut die Schutzkabine auf. Kamera!“

Ein Großstapler lancierte einen Container an das Boot, stülpte ihn über die Luke. Zischend saugte er sich hermetisch fest.

„Egmont, bitte“, forderte Mark Sander.

Einer der beiden Männer, bereits im Begriff, einen weißen Schutzanzug überzustreifen, hob bestätigend den rechten Arm und betrat wenig später die Kabine. Kurz darauf erschien er auf dem großen Demonstrationsschirm an der Hallenwand.

Nach wenigen Minuten klappte die Tür des Bootes nach oben. Der von Mark Sander als Egmont Benannte hielt ein Messgerät in den offenen Raum. „Okay“, meldete er. „Luft. Nur geringe Abweichungen vom Standard, keine Grenzwertüberschreitung, keine Beimengungen.“

„Gut, dann los!“ Mark Sander sprach in ein Handfunkgerät.

Das Bild schwankte. Egmont setzte die Kamera um und schaltete die an seinem Helm ein.

„Du bist im Frachtraum“, erläuterte Mark. Er hatte einen Plan in der Hand, den Grundriss eines Lande- oder Beibootes, für dessen Stimmigkeit sich der irdische Absender jedoch nicht verbürgte.

„Ja“, kam die Bestätigung, und die Kamera nahm eine Anzahl Regale auf mit festgezurrten Gegenständen darin. „Diese Apparatur befindet sich hier noch - Behälter, hier, eine Pumpe vielleicht, Leitungen, die nach vorn führen. Einige leuchtende Dioden, das Ding arbeitet.“ Mit den Erläuterungen erschienen die Bilder der geschilderten Gegenstände, auch Kanister, kleine Druckkesscl mit verkabelten Ventilen.

„Nichts berühren!“, mahnte Mark überflüssigerweise. „Nach vorn jetzt!“

Wieder schwankte das Bild. Eine schmale Tür wurde geöffnet. Der Blick der Kamera fiel auf das mit Armaturen reichlich bestückte Cockpit und nach einem Schwenk auf eine längliche quaderförmige, liegende Kiste. Hinter einem Sichtfenster sah man ein regloses, von einer Maske weitgehend verdecktes Gesicht, zu dem mehrere Kabel und dünne Schläuche führten.

Egmont stand minutenlang ergriffen vom Anblick - ebenso wie die Gruppe draußen vor dem Bildschirm. Dann senkte er seinen Kopf mit der Kamera. Ein metallischer Körper schob sich ins Bild. Langsam ging Egmonts Blick darüber hin. Wie eine halbe Birne sah das aus, liegend auf der Schnittfläche.

Da stellte Mark die alle bewegende Frage: „Lebt - dieser?“

Die Antwort kam zögernd: „Ich weiß es nicht. Der Apparat funktioniert offenbar - Anabiose vielleicht.“

„Wir schleusen Ole ein“, entschied Mark Sander hastig.

Einer der Männer draußen hatte bereits vor Marks Anordnung einen Schutzanzug ergriffen und streifte diesen jetzt über. „Okay“, sagte er und begab sich rasch zur Kabine.

Die Umstehenden wurden sichtlich nervös.

Sophie spürte den Puls bis zum Hals. Fahrig renkte sie die Finger ineinander.

Manuel, ihr Gefährte, - wie sie ausgeliehen und zum Team des Observatoriums gehörig - versuchte, sie zu beruhigen. „Wenn er lebt, bekommt Ole ihn auch munter. Er versteht sein Fach.“

Sophie rang sich ein Lächeln ab und nickte. „Ich weiß, dass er ein guter Arzt ist. Aber einen solchen Fall ...“

„Er schafft es!“

Aus dem Lautsprecher klang Ole Olafsons Stimme: „Mark, ich kann vorläufig nichts machen. Ein Mechatroniker muss her! Ein technischer Defekt wahrscheinlich.“

„Ein Mechatroniker! Wo soll ich einen hernehmen, verdammt!“, rief Mark nervös. „Ist hier einer, oder einer von einem verwandten Fach?“ Er blickte erregt in die kleine Runde. „Von den neuangekommenen Helfern einer?“

Schweigen.

Sophies Herz schlug bis zum Hals. Sie drückte Manuels Hand, hob zaghaft den Arm und sagte: „Ich kann es mir ja mal anschaun.“

Mark Sander atmete so hörbar aus, dass die Lautsprecher rasselten. „Na, klar, Sophie Merhoff, unsere Ingenieurin. Mensch, danke!“ Er machte einige Schritte auf die Frau zu, nahm unterwegs aus der Box einen der leichten Schutzanzüge, übergab ihn und umarmte die Frau.

Manuel half Sophie beim Anziehen. „Alles Gute und Erfolg!“, gab er ihr auf den Weg.

Sophie trat in die Kabine, ließ in der engen Vorzelle die Hygieneprozedur über sich ergehen und betrat, als das rote ins grüne Signal überging, den winzigen Raum, wo sie Egmont erwartete.

Ole stand über den Kasten gebeugt und sagte ohne aufzublicken, als er die Frau neben sich spürte: „Ich bin fast sicher, dass er lebt, aber auch längst munter sein müsste! Wenn er zu uns will, kann er nicht mit dieser Geschwindigkeit in den sonnennahen Raum eindringen. Hätten wir das Boot nicht abgefangen, es wäre über die Erdbahn hinausgeschossen, von der des Mars ganz zu schweigen. Es muss einen Defekt in der Automatik geben, die ihn wecken sollte. Also, versuche, diese in Gang zu bringen. Den Kasten aufmachen und ihn vielleicht wach rütteln, ist mir viel zu riskant. Es könnte sein Tod sein. Wer weiß, wie geschwächt der Organismus ist, also!“

Sophie wurde es siedendheiß.

Mark Sanders Stimme drang aus dem Funkgerät: „Was ist?“

„Es wird dauern. Wir suchen einen Fehler in der Automatik.“

Mark Sander stöhnte. Man hörte, wie er die Umstehenden aufforderte, wieder ihrer Arbeit nachzugehen, da hier ohnehin nichts auszurichten wäre. Offenbar aber blieb sein Appell erfolglos; denn nach einer Weile sagte er ergeben: „Na schön, dann bleibt eben.“

Sophie hatte sich gefangen. Sie verfolgte akribisch die Leitungsstränge, pendelte zwischen den beiden Räumen hin und her, ließ Egmont da und dort leuchten, der im Übrigen bestrebt war, ihr nicht im Wege zu sein.

Der Arzt hatte im Steuersitz Platz genommen und beobachtete still Sophies Tun.

„Es ist eine Einrichtung“, erklärte sie nach einer Weile mit zugeschalteter Verbindung nach draußen, „bei der möglicherweise eine heute veraltete automatisierte Anabiose-Apparatur Pate gestanden hat. Details sind natürlich verändert, verbessert, und das Ding ist hier nachträglich eingebaut worden. In einem solchen Landeboot geht man normalerweise nicht in Anabiose.“

Unter dem Deckel eines schmalen Pultes im Frachtraum befand sich ein flacher Computer, dessen Tastatur Sophie nach kurzem Überlegen bediente. Nach mehreren, von ihr sorgfältig studierten Aufrufen erschien auf dem Monitor ein Fließbild, welches ihr den Ruf „na bitte!“ entlockte. An einer Stelle im Strichbündel blinkte es. „Dort also ist der Fluss unterbrochen“, murmelte sie. „Das ist drüben über dem ...“

Sophie stieg auf das neben dem Schlafkasten liegende merkwürdige metallische Etwas, um die darüber angebrachten Armaturen und Behälter zu kontrollieren. Insbesondere interessierte sie sich für die Kabelanschlüsse. Sie zog, roch daran, schüttelte und rief plötzlich: „Hier ist es!“ Sie hielt die Nase an einen kleinen Schiebermotor und sog die Luft tief ein. „Der riecht nach Ampere.“ Sorgfältig untersuchte Sophie das Umfeld, dachte dabei laut. „Der Schieber ist zu ... Wenn er aufgeht, aha, schließt er gleichzeitig den ... Ole“, rief sie, „ich könnte versuchen, mit der Hand zu schalten!“

Der Angesprochene zog die Stirn in Falten. „Du bist die Fachfrau.“

„Schalte!“, mischte sich Mark Sander von draußen ein.

„Hm“, brummelte Sophie. Sie löste den Antrieb vom Schieber, holte tief Luft und versuchte dann beherzt, das Teil zu bewegen. Es bewegte sich nicht. „Der klemmt“, sagte sie erleichtert, erleichtert aus zweierlei Gründen: Erstens, weil das Ergebnis ihrer Entscheidung aufgeschoben war, und zweitens, weil nun sicher schien, dass sie den Fehler gefunden hatte. „Mark, es dauert noch“, sagte sie. „Ich muss nachschaun.“

In Ermangelung einer professionellen Klemme verschloss sie den Schlauch mit einer Feststellzange und löste die einfachen Quetschverbindungen. „Das hätten sie aber stabiler machen können“, murmelte sie, war jedoch froh, dass diese, wer auch immer, es nicht getan hatten. Die Demontage wäre langwieriger gewesen.

Dann hielt sie das Ventil in der Hand, beäugte es und packte schließlich den Schieber, um ihn aus der Führung zu ziehen. Er leistete Widerstand. „Ah“, kommentierte Sophie, „fest also!“ Mit einem kräftigen Ruck löste sie die Teile, betrachtete sie eingehend und schlug dann das Gehäuse mehrmals kräftig in ihre Handfläche. Und wieder rief sie „Ah“, diesmal lauter, triumphierender. „Wollt ihr ihn sehen, den Übeltäter?“

Die beiden Männer traten hinzu, Sophie beugte sich herab und hielt ihnen ihre flache Hand zur Betrachtung entgegen. Ein unscheinbares gekrümmtes Metallteilchen lag da.

„Ja?“, sagte Ole fragend.

„Ein Bearbeitungsspan, ein simpler Bearbeitungsspan, versteht ihr? Da fliegen wir interstellar, machen Terraforming, konstruieren sich selbst organisierende Computer und ..., und scheitern an einem Dreckerl, einem Spänchen, weil irgendwo ein Monteur oder eine Maschine schludrig gearbeitet hat. Und das an einer Stelle, wo es um Leben und Tod geht. Das ist nicht zu glauben!“ Sophie wischte sich empört die Hand am Anzug ab. Dann kommentierte sie wieder laut ihre Handlungen: „Anzunehmen, dass der Motor durchgebrannt ... Ich mach’s manuell ... Den Schieber einbauen ... So ... Jetzt, Ole, ich öffne!“

Sie tat es sehr behutsam, beobachtete dabei, wie der Schieber auf halbem Wege einen Kontakt schloss. Und da rief sie schon: „Hoi, hoi, hoi, was ist das!“

Balancierend krümmte Sophie ihren Körper und fuchtelte Halt suchend mit den Armen.

Langsam wurde die Frau angehoben, das heißt, der seltsame Metallklotz, auf dem sie stand, schwebte gleichsam etwa 30 Zentimeter empor und trug Sophie mit. Gleichzeitig entriegelte sich mit einem Schnapplaut der Schlafkasten, und der Deckel sprang einen Spalt breit auf.

Irgendwo im System gluckste Flüssigkeit.

Das Metallding verharrte reglos schwebend; Sophie hatte das Gleichgewicht zwar hergestellt, hielt sich jedoch über Kopf krampfig an einer Rohrleitung fest.

Ole, aufgesprungen, stand wie erstarrt.

Egmont blickte wie hypnotisiert auf die Szene und ruckelte mit hinter den Rücken gehaltenen Händen an den Türrahmen.

„Was, zum Teufel, ist los?“, rief Mark Sander über Funk.

Plötzlich war da eine sanfte, leicht blecherne Stimme, die aufforderte: „Steige herunter!“

Keiner rührte sich.

Über Sophie kroch eine Gänsehaut.

Da flüsterte Ole: „Das Ding, das Ding, auf dem du stehst, redet!“ Er stierte auf dessen schmales Ende. „Da leuchten Dioden!“

Sophies Herz schlug heftig, sie begriff jedoch - nach Oles Erkenntnis -, dass die Aufforderung, herunterzusteigen, ihr galt. Sie ging in die Hocke, ertastete mit einem Bein den Boden und glitt von dem Metallkoloss herab.

Sie stand kaum, als sich der sprechende Körper in der Horizontalen drehte, und zwar so geschickt, dass er in dem engen Raum nirgends anstieß.

Auch Sophie und Egmont sahen jetzt die Leuchtdioden an der Rundung, die sich auf sie richtete. Diese begannen zu flirren, als eine zweite Aufforderung folgte: „Verlasst jetzt das Boot; ich erfülle meine Aufgabe!“

Wiederum rührte sich niemand.

Dann sagte Ole heiser, und man merkte ihm an, dass er das Geschehen noch nicht verinnerlicht hatte: „Ich bin Arzt. Er stirbt vielleicht!“

Die Antwort kam schnell und bestimmt: „Sie stirbt nicht, geht!“ Und der Koloss rückte einige Zentimeter auf die Menschen zu.

Sie wichen zögernd, rückwärtsgehend. An der Tür wandten sie sich dem Ausstieg zu. Sophie warf noch einen Blick auf den Schlafkasten, und ihr war, als bewegte sich dort das Gesicht.

Und noch einmal meldete sich Mark Sander: „Verdammt noch mal, was ist bei euch da drinnen los!“ -

1. Teil

1. Kapitel

Robina stand mit gebreiteten Armen auf dem gläsernen See und starrte ins Firmament. Später hätte sie nicht zu sagen vermocht, was in diesem Augenblick in ihr vorging. Wie in Trance nahm sie überdeutlich die kleinen pulsierenden Lichtpunkte wahr, drei kurz, drei lang, drei kurz, die in ihr wie blendend strahlende Leuchtkugeln flammten. Gedankenleer murmelte sie wieder und wieder: „Sie kommen ...“

Dann stand das Signal im Zenit. Robina achtete nicht auf die Schmerzen im überdehnten Nacken. Mechanisch drehte sie sich, den Blick starr mit den blinkenden Punkten verhaftet, bis die Rotation des Boliden diese hinter dem Kristallmassiv über der Grotte verschluckte.

Erst jetzt wich der ungeheure Druck von der Frau, setzte das Denken wieder ein. „Sie kommen“, flüsterte sie erneut. Tränen stürzten über ihre Wangen. Wie in dicker Watte schritt sie zu ihrem Sitzstein, sank darauf nieder und stützte den Helm in die Hände. „In hundertsiebenundsechzig irdischen Minuten gehen sie wieder auf!“ Sie wendete den Kopf: „Hörst du, in zwei Stunden und siebenundvier ig Minuten tauchen sie wieder auf, deine Leute.“

„Meine Leute“, echote die Maschine.

Robina lehnte sich zurück. Sie entspannte langsam; ein nie empfundenes Glücksgefühl durchströmte sie. Sie atmete tief. ,Es hat sich gelohnt’, dachte sie. ,Nach dreiundzwanzig Jahren und hundertsiebenunddreißig Tagen hat mein Ruf sie hergeführt, die Anderen ...

Die Anderen? Und wenn es meine sind?’ Noch immer fühlte Robina sich fassungslos, keiner tieferen Überlegung fähig. „Das ist so gleichgültig!“, rief sie. Aber gleichzeitig pochte leise in ihr der Wunsch, es mögen die Anderen sein.

Robina starrte auf den Punkt am jenseitigen Ufer, an dem des Signal erneut erscheinen musste, obwohl, wie gerade dem Roboter mitgeteilt, noch Stunden vergehen würden.

Je zäher die Minuten tropften, desto mehr stellten sich Zweifel ein. ,Wenn mir meine Fantasie, mein Wunschdenken einen Streich spielt? Aber warum gerade heute? Hat mich das Sehnen nach einem solchen Augenblick nicht begleitet, seit ich wusste, dass die Gefährten mit der stolzen REAKTOM atomisiert wurden und ich nach der Havarie auf diesem todkalten, sterilen, wunderbaren Gesteinsbrocken allein sein werde?’

„Entschuldige!“ Robina strich zärtlich, so wie es die Handschuhe zuließen, über den Metallpanzer des Roboters. „Ohne dich und das Wissen um deine Abstammung hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt.“ ,Durch deine Hilfe geschieht das Ungeheure: Ich, Robina Crux, eine simple Feldoperateurin, eine verunfallte Raumfahrerin, eine Frau, die hundert Mal aufgegeben und einmal mehr Hoffnung schöpfte. Ich bin der erste Mensch, dem widerfährt, was Milliarden Menschen träumen, ich treffe mich mit anderen vernünftigen Wesen, bin Bote der Menschheit. Umsonst habe ich mir das Hirn zermartert, auf welche Weise ich von meinem Aufenthalt hier künde, habe jahrelang die wundervollen Flächen der Riesenkristalle mit meinen gebrannten Wörtern und primitiven Inhalten verdorben. Jetzt kann ich ihnen alles sagen, alle Fragen beantworten, kann ein Bild von meiner Erde vermitteln - wie es dort vor fünfunddreißig Jahren ausgesehen hat. Und wenn die, die da kommen, die Meinigen sind oder ich doch einer Halluzination erliege ...?’

In Robina steigerte sich Spannung ins Unerträgliche. ,Und noch über zwei Stunden ...’ Sie stand auf, wanderte ein Stück in die Ebene hinein, kehrte um. ,Ich muss sie begrüßen, sie empfangen. Wo werden sie landen? Hier, auf dieser Fläche? Kommen sie friedlich? Oder nehmen sie mir übel, dass ich ihr Funkfeuer manipuliert, mir ihren Roboter hörig gemacht habe? Nein! Sie würden kein Signal senden, sich nicht ankündigen.

Wie trete ich ihnen entgegen?’ Robina durchflutete eine heiße Welle. Ihre Gedanken gingen konfus. ,Dreiundzwanzig Jahre habe ich Zeit gehabt, mich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Und wie stehe ich da? Warum habe ich nicht versucht, wenigstens einiges von ihrer Schrift zu entziffern - mit Birnes Hilfe? Zu einer Begrüßungsformel hätte es gereicht. Nein, deine Sprache hast du ihn gelehrt, arrogante Robina, bist, warst auch noch stolz darauf!’ Robina versuchte sich zu beruhigen. Sie ging zurück zur Grotte, schleuste sich in ihren Container, legte den Skaphander ab. Fahrig noch, dann gezielter, begann sie zu suchen. ,Wie lange? Zehn, fünfzehn Jahre habe ich keines genommen. Wo sind sie, die verfluchten Kügelchen?’ Robina spürte, wie sie mehr und mehr in Panik geriet. Sie erinnerte sich flüchtig, wie sie seinerzeit unter der Droge dahinvegetierte, gleichsam verkam, wie sie mit großem Kraftaufwand wieder ins Normale fand. ,Ein, nur ein Kügelchen ...’ Sie fand die kleine Box hinter den üppigen Ranken ihrer Pflanzenecke. Als sie die Blätter berührte, befiel sie eine Ahnung von Wehmut, von Abschied. ,Welch ein glücklicher Augenblick damals, als aus den Samenkörnchen und der Hand voll Erde - Mandys sentimentales Amulett - die ersten Hälmchen sprossen.’ Robina breitete die Arme und strich liebkosend über Stängel, Blüten und Ranken, die ein Viertel ihrer Kemenate einnahmen. Dann riss sie sich los, schluckte ein halbes Kügelchen und zwang sich hinzulegen. Sie schloss die Augen; langsam begann die Droge zu wirken. Ein wenig Ruhe durchfloss die Frau. ,Ich lasse es einfach auf mich zukommen ...’

Obwohl Erregung und Spannung kaum nachgelassen hatten, half ihr das Medikament, sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Immer wieder mahnte sie sich, nicht in Hektik zu verfallen, zwang sich, den Raumanzug erst eine Viertelstunde vor dem zu erwartenden Durchgang des Schiffes anzuziehen. Aber dann eilte sie dennoch überhastet hinaus; der Schleusvorgang ging ihr nicht schnell genug. Und sie starrte zitternd vor Aufregung zum Horizont. Nervös strich sie mit der rechten Hand über den Metallkörper des Roboters, der unbeweglich, seine 30 Zentimeter über dem Boden schwebend, neben dem Grotteneingang stand.

Robina verfolgte die Ziffern der Uhr. Unendlich langsam tropften ihr die Sekunden.

‚Jetzt!’ Sie starrte, dass die Augen zu tränen begannen.

Nichts tat sich.

Nervös blickte Robina zum Chronometer und wieder zum Horizont. Die Zeit stimmte. ,Sollte er etwa kaputt ...? Unsinn, es wäre das erste Mal und ausgerechnet jetzt, dass dieses Präzisionsding versagte!’

Robina bemächtigte sich Fassungslosigkeit. Sie stand und starrte, eine heiße Welle durchjagte ihren Körper. Ohne den Kopf zu wenden, schubste sie den Roboter, hieb mit der flachen Hand nervös auf dessen Panzer. „Wo bleiben sie?“, rief sie. „Warum kommen sie nicht? Verdammt!“ Sie lief etliche Schritte in die Ebene hinaus, breitete die Arme, schrie: „Hier bin ich, hierher! Verdammt, kommt hierher!“ Sie erstarrte förmlich in ihrer Pose, das Gesicht zum Horizont gerichtet. Dann ließ sie sich plötzlich auf die Knie fallen - noch immer mit abgespreizten Armen und starrem Blick. Endlich brach sie zusammen. Der Helm prallte auf den gläsernen Boden. Ihr Körper wurde hemmungslos von einem Weinkrampf geschüttelt, und sie schrie immer wieder mit erstickender Stimme: „Warum, warum ...“ Mit den Händen schlug sie auf den harten Untergrund. -

2. Kapitel

Später hätte Robina nicht zu sagen vermocht, wie lange sie in diesem Zustand grenzenloser Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung verbracht hatte. Irgendwann stand sie auf und schleppte sich gesenkten Kopfes zum Grotteneingang. Nicht ein einziges Mal ging ihr Blick ins Firmament. Als sie sich in der Schleuse befand, bereits im Begriff, das äußere Schott zu schließen, meldete sich ihr Unterbewusstsein: Hatte sich etwas in ihrem Umfeld verändert? Langsam kam sie zu sich. In ihre maßlose Enttäuschung mischten sich Fatalismus und Furcht. ,Verliere ich den Verstand?’ Sie trat aus dem Container, ging die wenigen Schritte zum Eingang und befand sich erneut in der Ebene. Jetzt ging ihr Blick wieder zu den blitzenden Sternen, und sie lachte bitter auf. Zum ersten Mal empfand sie, als sei deren Gleißen hämisch und schadenfroh, als wisperten sie: „Wir sind beständig, Robina Crux, noch in deiner letzten Stunde wirst du uns unverändert finden. Außer deinem Kristallscherben bewegt sich hier nichts, nur in deinem alternden, gemarterten Hirn ...“ Robina resignierte. ,Nichts hat sich verändert.’ Sie kehrte um und ging niedergeschlagen zurück zu ihrer Behausung.

,Doch!’

Überrascht und plötzlich wieder gegenwärtig mit klarem Denken: ,Birne ist weg!’

„Birne?“, sagte sie fragend.

„Birne!“, rief sie. Und ungehalten: „Birne - wo bist du?“

Sie kontrollierte die Sprechanlage des Raumanzugs. Aber die Diode leuchtete. ,Er muss mich empfangen!’ „Birne!“, schrie sie, und sie drehte sich, als ließen sich so die Funkwellen richten.

Hilflos stand die Frau, geschockt und Augenblicke lang wie geistesabwesend. Sie begriff nicht. Niemals in den vergangenen Jahren, da sie die Maschine gleichsam zu ihrem Gefährten erzog, hatte diese den einfachen Gehorsam verweigert. Freilich, von seinem Grundprogramm, dem Schutz der Funkanlage, konnte sie ihn nicht abbringen, so drängend sie es auch versucht hatte. Der Richtstrahl strich nach wie vor scharf gebündelt in die Richtung, in der sie ihn angetroffen hatten, lediglich in ihr S-O-S konnte sie ihn zerhacken, in jenes Signal, das die Anderen hergelockt ... ,Hat es das?’ Wieder stieg bittere Enttäuschung in Robina an. ,Aber niemals hat er sich den Alltagsanordnungen widersetzt, sich gar aus dem Staub gemacht. Verdammt, vor wenigen Stunden hat er noch mein Diktat aufgenommen, die neue Seite für die Wand.’

Zornig schrie Robina weitere Male nach dem Verschwundenen - ohne Erfolg.

Unfähig, etwas Sinnvolles zu unternehmen, nach wie vor unter der Wucht des Unbegreiflichen, setzte sich Robina auf ihren Stein, lehnte sich an den Kristall und schloss die Augen. ,Ich träume’, dachte sie. ,Wenn ich aufwache, ist alles, wie es war.’ Instinktiv reckte sie den rechten Arm, um, wie so oft in solchen Augenblicken, den metallenen Gefährten zu berühren. Ihr Tasten fand keinen Widerstand. Aber - noch mechanisch weiter den Arm bewegend - schoss Robina ein Gedanke ein: ,Noch nie hat er mich verlassen - warum also gerade jetzt? Was hat ihn veranlasst, in dem Augenblick, in dem ich träumte - träumte? - die Anderen, die Seinen, kommen, zu verschwinden ...?’ Winzig glomm in Robina ein Hoffnungsfünkchen auf. „Warte, mein Bürschchen! Dich hole ich!“

Grimmiger Elan erfasste Robina. „Ihn holen - er kann nur zu seiner Äsung geeilt sein.“ Robina blickte zur Uhr. ,Er hätte aber noch sieben Stunden Zeit gehabt ... Trotzdem!’

Die plötzlich entstandene Aufgabe, den unartigen Roboter aufzuspüren, überdeckte auf einmal die Enttäuschung, ersetzte das Deprimierende durch Tatendrang. Den glimmenden Hoffnungsfunken löschte sie nicht. -

 

Robina redete sich ein, es sei nichts geschehen. Sie suggerierte sich Unbefangenheit, bestieg ihr Vehikel und fuhr flott in Richtung Kuppel. Die Lichtkaskaden der Lumineszenz durchdrangen die Riesenkristalle wie eh und je, erzeugten ihre funkelnden Reflexe, hatten nichts von ihrer Faszination eingebüßt. ,Warum sollten sie auch!’ Dennoch schien es Robina, als wäre die Illumination auf dieser ihrer Fahrt ausschließlich für sie gerichtet, und nach Jahren der Routine wurde ihr die Schönheit ihrer Zwangsheimstatt wieder einmal bewusst. Nie hatte ein Mensch, außer den toten Gefährten Mandy, Frank und Stef, etwas so Wunderbares gesehen. ,Nun bin ich der Einzige ... Und wenn ich das alles doch eines Tages verlassen muss?’ Robina schüttelte die Gedanken ab.

Sie befand sich vor dem Eingang drei, der von der Ebene her in das unterbolidische Stollensystem führte. Sie warf noch einen Blick über den starren See, in dem sich die unzähligen Sterne spiegelten und so den Eindruck vermittelten, als stünde sie schwebend zwischen den Sonnen im All. Dann trat sie forsch ein und begab sich schnurstracks in den Schlafraum des Birne, dorthin, wo sie ihn bei den Ladevorrichtungen für seine Akkumulatoren vermutete. Jahrelang hatte sie die Stätte nicht wieder aufgesucht. Ihre Energie tankte die Maschine selbstständig.

Alle Gegenstände befanden sich dort, wo sie, wie Robina sich erinnerte, hingehörten. Nur der Roboter fehlte.

Überrascht, aber nach wenigen Augenblicken gefasst, sagte Robina, und sie dachte an die Zeit, da sie die Bauwerke der Anderen entdeckte und erkundete und an die vielen Stunden, die sie wartete, um den Roboter zu überlisten und gefügig zu machen: „Du brauchst dein Elixier - in nunmehr sechs Stunden. Dann wirst du spätestens hier auftauchen und mir erklären, weshalb du abgehauen bist!“

Robina setzte sich in die Ecke des Raums, die durch die aufgehende Tür nicht sofort in den Sichtbereich des Eintretenden geraten würde.

Trotz der aufwühlenden Ereignisse der letzten Stunden und der pochenden kleinen Hoffnung, schlief, dank dem Training aller Raumfahrer, Robina nach kurzer Zeit ein. -

3. Kapitel

Robina erwachte 21 Minuten nach dem Zeitpunkt, zu dem der Roboter hätte spätestens auftauchen müssen, wenn er keinem Energiekollaps erliegen wollte. Und einen solchen hatte er in all den Jahren nicht erlitten.

Obwohl Robina nicht begriff, wurde sie sich sicher, dass etwas geschehen sein musste, was den Alltag der Maschine aus den Fugen gebracht hatte. ,Und wenn ich doch nicht gesponnen habe, wenn es mit diesem Lichtsignalen aus dem Firmament im Zusammenhang stände?’ Langsam ließ Robina den bislang unterdrückten Gedanken reifen. ,Eine zweite Ladestation habe ich nicht entdeckt, das heißt aber nicht, dass sie nicht existieren könnte. Weshalb aber sollte er eine solche gerade heute nutzen? Also! Wo steckt der Kerl!’ Gedankenvoll begann Robina das Bauwerk abzusuchen, ohne sich im Klaren darüber zu sein, fände sie den Birne mit leeren Akkumulatoren - sie konnte es sich nach wie vor nicht vorstellen, was dann zu tun sei.

Sie betrat den Ringraum, blickte in die Tiefe - stoisch sandte die Riesendiode ihre Lichtimpulse durch den Mineralbrocken.

Ihr fiel ein, dass sie nie versucht hatte, diesen unteren Bereich zu ergründen. ,Ob Birne etwa dort...?’

Sie fuhr in die Kuppel. Obwohl sie auch dort nichts Ungewöhnliches vorfand, umrundete sie die Sendeapparatur und blieb voller Gedanken vor ihrem Signalgeber stehen. Und wie stets, wenn sie zur Wartung der kleinen Maschine kam, erfüllte sie Stolz, dass ihr diese so nachhaltig gelungen war. Stoisch hob und senkte sich der Metallstreifen in die Schnittstelle der durchtrennten Leitung, unterbrach oder schloss den Kontakt und sendete jahrelang anstelle des Ursignals ihr S-O-S in den Raum. ,Und was hatte es für eine Mühe gekostet, dem Roboter beizubringen, dass dieses Signal jetzt als das gültige gesendet werden musste. Wachen muss er fortan über mein Machwerk, als sei es Bestandteil seines Programms - mit Erfolg?’ Wieder dachte Robina an die Merkwürdigkeiten der vergangenen Stunden, und sie lauschte sekundenlang ihrer Melodie.

Doch plötzlich kam ihr die Idee: ,Seine Grundaufgabe hat er nie vergessen. Warte, mein Freund!’ Und noch ehe zu Ende gedacht, versetzte sie der Maschine einen kräftigen Tritt. Der Kontaktgeber sprang aus der Führung, das Signal verstummte. „So“, sagte sie befriedigt, „nun werden wir sehen, wie ernst du deine Aufgabe nimmst!“

Wieder hieß es warten. Die Anspannung war so groß, dass sie der Schlaf floh. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Gewöhnlich hatte es früher höchstens drei Stunden gedauert, bis der Birne erschien, um zu reparieren. Dutzendfach hatte das stattgefunden und funktioniert. Dieses Mal jedoch funktionierte es nicht. Die Anlage schwieg, kein Reparateur kam, auch nach vier, nach fünf Stunden nicht.

Müde zwar, aber eigenartigerweise nicht enttäuscht, verließ Robina nach wie vor hoch erregt die Kuppel. Kein Zweifel, irgendetwas geheimnisvoll Unheimliches geschah auf dem Boliden, etwas, das den Alltag sprengte.

Robina nahm den Ausgang, der in die Ebene führte. Ein wenig fühlte sie sich wie als Kind, das im Dustern erwartet, auf den versteckten Spielgefährten zu stoßen, der es erschreckte.

Sie trat ins Freie. Wie eh und je jagten die Lichtkaskaden in rascher Folge durch die glasigen Mineralien. Robina suchte vergeblich nach Veränderungen. Nun doch leicht enttäuscht, schwang sie sich auf ihr Eselchen und fuhr langsam in Richtung Grotte.

Auf halbem Wege erlosch plötzlich alles Licht. Erschrocken hielt Robina an. Zunächst absolute, unheimliche Finsternis, nur allmählich schälten sich im Schein der unzähligen ungetrübt leuchtenden Sterne Schatten und Umrisse heraus.

Noch hatte sich Robina von ihrem Schreck nicht erholt. Über 23 Jahre hat diese Lumineszenz sie begleitet. Schon aus dem All, als sich die REAKTOM dem Himmelskörper näherte, wurde die Crew auf diese merkwürdige Einmaligkeit höchst aufmerksam. Dieses Leuchten ließ sie das himmlische Trümmerstück irrtümlich einen Boliden nennen. Das Licht brachte die Kristalle zum Strahlen, zauberte eine unvorstellbar märchenhafte Farbenpracht hervor. Auch als sich später herausstellte, dass dieses Künstliche neben dem Funkfeuer ein Wegzeichen ist, hatte das nichts von seiner unwirklichen Schönheit genommen. Und nun, als hätte jemand einen Schalter ...

Jemand hat einen Schalter ...!’ Plötzlich blitzte das Hoffnungsfünkchen in Robina zum strahlenden Feuerball auf. ,Sie haben abgeschaltet!’ „Sie sind hier, die Anderen sind hier!“ Ja, die Anderen! Nur sie haben Zugang zur Lichtquelle. Aber warum, warum zeigen sie sich nicht, warum nehmen sie das Licht? Sie sind nicht meinetwegen hier!’ Wie ein Schwall kalten Wassers traf Robina diese Erkenntnis. Sie glitt neben ihrem Gefährt auf den Boden, saß eine Weile wie gelähmt. Später dachte sie: ,Wenn schon! Sie sind hier, und sie werden wohl oder übel akzeptieren, dass ich es auch bin. Aber sie müssen doch - wie ich auch - Interesse an einem Kontakt ... Müssen? Beileibe nicht!’

Doch dann begann Robina ihr defätistisches Denken zu relativieren, ja es sogar als unsinnig abzutun. ,Und warum sollten sie sich dann mit dem S-O-S-Lichtsignal angekündigt haben? Mit meinem Signal? Es war kein Traum, keine Halluzination. Sie sind da, und auch meinetwegen! Aber weshalb verstecken sie sich, nehmen mir den Roboter und das Licht weg? Sie werden es mir sagen! Gewiss - sie werden es mir sagen!’

Robina erhob sich. Die Sicht war so schlecht, dass sie sich entschloss, zu Fuß den Weg fortzusetzen. Freilich, die Fläche glich einem glatten, erstarrten See. Doch es sprossen hie und da kleine Kristallwürfel, Pyramiden und erstarrte Blasen hervor, insbesondere aber gab es zahlreiche Einschläge von Meteoriten, die Krater bis zu einen Meter Tiefe gesprengt und entsprechende Trümmer umhergestreut hatten. Trotz der jeden Sturz mildernden geringen Schwerkraft wollte Robina, auch um ihr lieb gewordenes Eselchen nicht zu gefährden, kein Risiko eingehen, gerade jetzt nicht, wo die Anderen ...

Obwohl sie den Weg Hunderte Male gegangen und gefahren war, hatte Robina Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Einen Scheinwerfer führte sie nicht mit. Die Lichtpulsationen hatten stets für eine ausreichende Beleuchtung gesorgt, selbst in den unterbolidischen Räumen, jetzt tastete sie sich voran, kam sich vor, als wandle sie im Raum. Der Boden, auf dem sie lief, die Uferkristalle reflektierten die zahllosen Fixsterne, die geringe Schwerkraft tat ein Übriges, um den Eindruck zu verstärken. Das Vorankommen wurde ihr so beschwerlich, dass sie sich entschloss, das Eselchen stehen zu lassen, um sich besser auf den Weg konzentrieren zu können. Dennoch hätte sie beinahe das Ziel verfehlt. Erst als sie unmittelbar vor ihrem Eisblumengarten stand, das Knirschen der Stängel- und Blättersplitter unter ihren Füßen spürte, die von den Zerstörungen herrührten, die sie hervorgerufen hatte, als sie beim ersten Auftauchen des Signals in die Ebene rannte, fand sie zum Eingang der Grotte und darin zu ihrem Wohncontainer.

Erschöpft warf sich Robina auf ihr Lager.

Schon im Wegdämmern wurde sie durch mehrmaliges hart dengelndes Knallen aufgeschreckt, Geräusche, wie sie von Detonationen verursacht werden, deren Schall sich in Gestein fortpflanzt. Tiefer über dieses neue Phänomen nachzudenken, fühlte sich Robina in dieser Stunde und ihrem Zustand nicht mehr in der Lage. Sie schlief ein. -