Impressum

Dietmar Beetz

Kaleidoskop in b

Splitter einer -biografie

ISBN 978-3-86394-826-9 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2006 im Verlag Edition D. B. Erfurt.

 

Gestaltung des Titelbildes: Sabine Beck

 

© 2012 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Godern
Tel.: 03860-505 788
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Che, Fidel, Nelson
und Amilcar, Karin,
Sabine und Claudia

 

"J'ecris un peu pour moi, bien sür, parce que j'aime ecrire; mais je pense que ecris surtout pour les aut-res, pour mon pays d'abord. Pour la societe humai-ne ensuite. A mon avis, le travail d'un artiste doit se juger selon son utilite."

Ousmane Sembene

"Ich schreibe für mich, gewiss, weil es mir Freude macht, zu schreiben, aber ich glaube, dass ich auch für andere schreibe, zuallererst für mein Land, sodann für die menschliche Gesellschaft. Meines Erachtens wird die Arbeit eines Künstlers nach ihrer Nützlichkeit beurteilt."

1. Teil: Herkunft

TRÜB SIND DIE GEWÄSSER

der Vergangenheit. - So oder so ähnlich ein dem Schreiber dieser Zeilen nahestehender Sprücheklopfer an einem regengrauen Samstagvormittag.

Kein tiefer Brunnen also, an dem man rasten könnte, sich lagern, um sich zu laben an kühlem, kristallklarem Wasser; auch nicht unbedingt ein Tümpel voller Gewürm unter grünlich-schleimiger Entengrütze; eher ein Teich, wie er in der Gegend, wo diese Erinnerungen ihren Ausgang nehmen, reichlich Vorbilder hat, Teiche, angelegt von Flößern oder für den Erzbergbau als Staubecken vor einem Pochwerk oder, neuzeitlicher, zum Betreiben einer Schneidemühle, gespeist von einem Bach, der noch vor einem Menschenalter auch Viehtränke war.

Stopp hier! Und gleich den Vorsatz, nicht abzuschweifen und nicht auszuufern. - Zudem mit einiger Verwunderung die Fragen: Woher auf einmal all die Einzelheiten, und weshalb ausgerechnet solche Details? (Libellengeflirr und Mückengesirr überm Schilfsaum eines jener Teiche - oder gab's dort nur Binsen? Heuhalme am Dorfstraßenrand, geknickt, von keinem Lufthauch bewegt. Der Geruch von Staub und Stroh, von Sommerferien-Ernteschweiß im Gerüttel der klapprigen Dreschmaschine.)

Keine Verklärung, obwohl irgendwas, das eingepflanzt sein mag oder anerzogen, gelegentlich dahin drängt. Auch nicht das Gegenteil, für das jener Sprücheklopfer an einem seiner trüben Vor- oder Nachmittage Anleihe nahm, indem er nachempfand: eine Kindheit, die Wunde war, mitsamt dem Schorf darüber, der entstellt.

Schorf und Wunde und all die großen, all die übergroßen Worte. Keine Story, die ohne Skandal sellt. Der Tabubruch, das Sakrileg, das ultimative Nonplusultra.

Fern dieser panisch sich beschleunigenden, crash-knall-programmierten Schussfahrt: Sich im Gehen üben, Gelassenheit trainieren. Nicht das Erdreich Literatur durch den Wolf drehn, um Bomben-Schocker-Lolli auszusieben und dutzendbändig PISA-gängig zu verfietschern. Sparen, falls verfügbar, Anmut nicht noch Mühe, auf den Punkt zu bringen, trefflich, was dir wichtig war und dir / dich noch im Rückblick wesentlich dünkt

 

- ja, dünkt, auch wenn's sogar den drei, vier Nächsten neben dir banal bis peinlich erscheinen könnte.

Dein Kaleidoskop also gedreht und aus dem Kreis, der sich ergibt, dem ersten Bild einer Folge, ein paar markante Splitter skizziert!

D'R GROASS SCHWARZ MOU

Da ist ein Bahnsteig, dort eine Wirtshausstube, hier ein dunkler, mit einer gescheckten Plane bedeckter Hügel. Das eine wie das andere und auch das dritte - sie alle leuchten auf in zeitlich naher Verwandtschaft, und würde man warten und ein wenig starren, tauchten wohl noch weitere Schemen auf, andere Schattenbilder mit gleichem Nenner und ähnlichem Kolorit.

Der Hügel wölbt sich am Fuhrweg zwischen der Eller und dem Hexenhaus an der Mondscheinwiese. (Eller: ein gerodeter, als Acker für untauglich befundener, Gräsern überlassener Hang am Waldrand; das Hexenhaus: selbstverständlich jenes Häusle, das vor Zeiten aus Brot gebaut und mit Kuchen gedeckt war und Fensterscheiben aus hellem Zucker hatte, sodass Hänsel und Gretel dran knuspern konnten.)

Hatten auf dem Weg dorthin nicht die ausgestreuten Kieselsteine im vollen Mondenschein wie neu geschlagene Batzen geschimmert? Und nun links am Rand, auf einem mit Haargras bewachsenen Flecken unter einer scheckigen Plane, die der Großvater an einem Zipfel anhebt ...

"Das ist doch ..." Schreck und Verwirrung greifen dem Zweieinhalbjährigen an die Kehle.

Der Opa nickt. "Ja, dem Alberticus - dem Albert sein Schimmel."

"Und warum liegt er hier?" "Tja, warum? Weil - weil er tot ist, gestorben." "Gestorben? Stirbt denn - aach a Pfaar?"

 

Kann sein, das Kind, um das es hier geht, war an jenem Tag mit älteren Kindern unterwegs, nicht mit seinem Opa Magnus. Möglich auch, dass es nicht zweieinhalb Jahre zählte, sondern schon dreieinhalb, dass also Fritz, der Schimmel des Fuhrmanns und Gemüsehändlers Albert H., erst 1943 an einem gewitterschwülen Spätsommernachmittag vor einer Holzfuhre zusammenbrach. Zweifelsfrei aber, dass dem Kind "Sterben" und "Tot-Sein" vertraute Worte waren, wenngleich sich mit diesen Begriffen kuriose, eben kindliche Vorstellungen verbanden. Unwichtig zudem, was beim Anblick des Pferdekadavers geäußert wurde, ja ob überhaupt was - und wenn, dann sicher durchweg im Dialekt. Wichtiger wohl, dass dem Kind an jenem Tag - und im Übrigen noch Jahre danach - alles, was mit dem Sterben und dem Totsein zusammenhing, seltsam erschien, bedrückend, ungerecht. Wie konnte, wie durfte ein Pferd, ein großes, kräftiges, schönes Tier, einfach umfallen, liegen bleiben und tot sein? - Gefallen und tot wie der Onkel Gotthard, der Reinhard und der Frieder.

 

Mit ihnen hatte das Kind (wann eigentlich? doch neulich erst!) im Wirtshaus gesessen, und zuvor waren der Onkel und der Reinhard, den Kleinen an der Hand, die Dorfstraße hinabgeschritten, der Onkel in Kriegsmarinekluft, sein Schulfreund Reinhard in Wehrmachtsuniform, beide zufällig gemeinsam auf Heimaturlaub und noch außerstande, diesen Glücksumstand zu fassen, und als sie dann vorm Goldenen Frosch auf den Frieder stießen, einen dritten Urlauber aus ihrem Schuljahr ...

Die Fama weiß zu berichten, dass die drei bei ihrer zweiten oder dritten Runde ein viertes Bier bestellten - klar, "nör a klännes", nur ein kleines - und dass der Zweieinvierteljährige, ihr "Nachwuchsrekrut", mit beiden Patschhänden zugriff und schluckte, schluckte "wie a Alter".

Selber waren sie damals neunzehn, alle drei: Der Frieder, der Reinhard und der Gotthard, und keiner von ihnen sollte je die Zwanzig erleben.

 

Der Krieg am Rand, fern bombardierter Städte, in relativer Geborgenheit. Doppelt - und mehr noch - geborgen, verglichen mit dem Ausgeliefertsein in einem der überfallenen, geknebelten Länder, den Weiten umkämpfter, getränkter, verbrannter Erde, den fluchtartig geräumten, später ausgefegten Ostgebieten. Kriegszeit in Thüringen, in Groß-Deutschlands grünlichem Herzstück, auserkoren zum Standort der Endsieg-Kommandozentrale Jonastal, einstweilen buchenwaldgekröntes Refugium und ...

Geht nicht. Nicht in diesem Ton, nicht mit solcher Akzentuierung. (Noch beim 50. Buch und nach einem halben Jahrhundert Mühen und Übung hat der Schreiber, ein Hineingeborener, der im Mai '45 knapp fünfeinhalb war, seine Not, die rechten - Pardon, die treffenden Worte zu setzen, ja, überhaupt: sich vorzuwagen auf dieses leidige, heikle, vielfach verminte Terrain.)

Belassen wir's also bei der Andeutung, wie wichtig auch die exakte - zudem korrekte - Einbindung wäre! Ohne zweiten Anlaufversuch der dritte Splitter, der im Gedächtnis steckt, länger - und damit älter - vielleicht als die anderen zwei:

 

Besagter Bahnsteig - übrigens der einzige Perron der Station Neustadt-Gillersdorf, gelegen an der Strecke Ilmenau-Großbreitenbach. Hier am vermutlich mit Vorkriegsfarbe gestrichenen, dennoch rostfleckigen Geländer, das den gefegten Ein- und Aussteigpfad vom Gleisstück vor der gleichfalls gefegten Güterschuppenrampe trennt - hier liegt reglos ein großer schwarzer (in Wahrheit wohl eher staubig-schwarzgrauer) Mann - für das Bübchen, das bei diesem Anblick erstarrt, fortan (und bis zur Stunde) d'r groass schwarz Mou.

Wahrscheinlich erklärt die Mutter (oder der Opa Magnus oder der Alberticus, der sie mit dem Schimmel oder mit dem Braunen herkutschiert hat), der Schwarze da sei gar kein Mann, kein richtiger Mensch, nur ein Denkmal, das Standbild des Fürsten Karl Günther. Sagt das vielleicht zerstreut, die Stimme möglicherweise gedämpft; denn schließlich ist man hergekommen (höchstwahrscheinlich nicht kutschiert worden, sondern geritten auf Schusters Rappen, allenfalls das letzte Stück, den Rotkopf herab, auf dem mitgeführten Handwagen gerollt), um Gustel, den Eheliebsten und Papa, beziehungsweise Gotthard, den Sohn und Onkel, abzuholen, heim für ein paar Urlaubsstunden, und der Fürst dort, die Bronzefigur, bekannt von Schulausflügen zum Denkmal drüben auf dem Langen Berg - die liegt doch sicher da, um abtransportiert zu werden, abgeholt; da sieht man besser nicht so genau hin und senkt die Stimme.

 

Wieder mal jener Knackpunkt, und der gleich mehrfach: unklar nicht nur, wer alles wann genau und weshalb damals dort auf dem Bahnsteig war, unklar zudem - das Wesentlichere, das Entscheidende: ob was - und wenn, was und wie das - gesagt oder gedacht, eventuell gar getan worden ist.

Nun könnte man natürlich tun, als wüsste man's genau, könnte zudem hinzuerfinden, den mageren Fakt durch Fantasie, die vermeintliche Wahrheit mittels Dichtung komplettieren sowie kolorieren: könnte treffliche Worte äußern, lautere Gedanken denken, nicht zuletzt das passende, illuminierende Wetter walten lassen. Auch Quellenliteratur wär sicher aufspür-anzapf-abfüllbar, und was vermag schon echt-verbürgten Akten-Fakten-Staub zu übertreffen?

Nun denn: Wie Recherchen ergeben haben, wurde die am 07.08.1912 feierlich enthüllte, drei Meter hohe Bronze-Statue des Fürsten Karl Günther (1830-1909), des letzten Fürsten der Sondershäuser Linie des schwarzburgischen Fürstenhauses, vom Denkmalsockel auf dem Langen Berg entfernt und, einer von Reichsmarschall Hermann Göring am 15.03.1940 erlassenen Anordnung entsprechend, abtransportiert - ein Schicksal, das zur selben Zeit u. a. auch den Glocken des Erfurter Mariendomes drohte.

Wie es gelang, die Gloriosa und ihre Schwestern zu retten - dazu fehlen dem Schreiber dieser Zeilen, der sich auf die beiläufige, während einer Dombesichtigung aufgeschnappte Bemerkung eines Kustoden stützt, verbürgte Informationen, und auch zum Fürsten Karl Günther, überhaupt zu Schwarzburg-Sondershausen, in dessen südwestlichem Winkel immerhin sein Elternhaus stand bzw. noch steht, hat sich der Autor zunächst nur flüchtig - und merkwürdig lustlos, ja beinah widerstrebend - informiert.

Lustlos, fast widerstrebend, bis plötzlich während eines Telefonats, das ziemlich erwartungsarm begonnen worden war, ein Funke übersprang.

Eigentlich wollte der Autor (wie schon durch gut ein Dutzend Anrufe anderswo) lediglich in Erfahrung bringen, in welchem Jahr besagte Statue abtransportiert worden war - 1942 oder, seiner Vermutung nach, erst 1943?

"Das weiß man nicht, das weiß vermutlich niemand ganz genau" - so die kaum mehr überraschende (im übrigen nicht endgültige) Auskunft, "aber ..."

Und was nun kam, zu vernehmen war von Herschdorf hinterm Langen Berg her (und erst recht die Ergänzung Abende später aus Gehren), das weckte schlummernde Geister und steckte, um das Bild vom Funkenschlag fortzuspinnen, ein Licht auf:

Dies kuriose Bronze-Schicksal und - mehr noch - das Bemühen um Aufklärung seit Jahren, ja bald Jahrzehnten, die Recherchen rundum und weit weg, das Dranbleiben, Dranbleiben trotz allem und wohl auch noch morgen und übermorgen - das hat was Zeitgemäßes und ist vermutlich wäldlerisch, vielleicht langenbergisch;

das gehört unbedingt unter das Dach einer solchen -biografie. Und verlangt einen eigenen Kaleidoskop-Dreh.

 

Wie Andreas Gunske, einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins "Langer Berg" e. V., im Jubiläumsbuch "Gehren und seine Geschichte" (2005) mitteilt, wurde die Statue des Fürsten Karl Günther, mündlichen Angaben mehrerer Personen zufolge, im Herbst 1942 demontiert, auf dem Bahnhof Neustadt-Gillersdorf zwischengelagert und dann wohl einfach vergessen, sodass sie bis Kriegsende am Bahnsteig liegen geblieben und erst durch amerikanische Truppen, die bekanntlich Thüringen von April bis Juni 1945 besetzt hielten, über Weimar in die westliche Besatzungszone abtransportiert worden ist.

Ein Augenzeuge will - laut Gunske - das Bronzestandbild inmitten mehrerer Glocken 1946 auf dem Güterbahnhof Hamburg-Altona gesehen haben. Von dort brachte man die Statue offenbar auf das Gelände der Norddeutschen Affinerie, den sogenannten "Glockenfriedhof', wo damals unter freiem Himmel 16.000 (!) Kirchenglocken aus allen Teilen des besetzt gewesenen Europa eine Fläche, groß wie ein Fußballfeld, bedeckten. Daneben lagerten, in Schuppen abgestellt oder zu Halden aufgetürmt, u. a. Bronzemonumente von Plätzen und öffentlichen Anlagen aus Paris, Krakau, München, Berlin ... Glücklicherweise aber waren die Alliierten mit ihrem Vormarsch schneller gewesen, als die Hütte hatte arbeiten können, und so waren zahlreiche Glocken und Denkmäler vor dem Schmelzofen bewahrt geblieben.

Im Winter 1947/48 wurde, wie Gunske in Erinnerung bringt, über die Kriegsschuld deutscher historischer Persönlichkeiten befunden. Dabei "begnadigte" ein Tribunal den "Fürsten von Schwarzburg" bzw. das "Denkmal aus Thüringen"; doch das stand fortan, Gunskes Ermittlungen zufolge, jahrelang vereinsamt auf dem Affineriegelände herum.

1952 fragte das Hamburger Unternehmen bei der Gemeindevertretung Herschdorf schriftlich an, "ob man die Statue des Fürsten Karl Günther zurückhaben wolle" - ein Brief, der, den Recherchen von Gunske zufolge, nie die genannte Adresse erreichte.

"Man ließ uns" - so eine Auskunft der Hamburger Firma Jahrzehnte später - "wissen, dass kein Interesse an der Rücknahme des Denkmals bestehe."

 

Daraufhin soll der verschmähte Fürst 1972 doch noch in den Schmelzofen gekommen sein - das mögliche Ende dieser deutsch-deutschen Kriegs-Nachkriegs-Geschichte, das allerdings nicht belegt ist.

Es gibt kein Einschmelz-Protokoll, wohl aber Augenzeugen, die das Standbild nach 1972, ja noch kurz vor 1989 gesehen haben wollen, die einen da, die andern dort. Vielleicht also steht "d'r groass schwarz Mou" seit geraumer Zeit in einem nord-, west- oder süddeutschen Verwaltungsgebäude, Park oder Villengarten.

Der Förderverein "Langer Berg" e. V. jedenfalls denkt über einen Nachguss des Standbildes nach, und einstweilen postiert Andreas Gunske bei festlichem Anlass und leidlichem Wetter die von ihm u. a. aus Draht und Styropor nachgebaute, mit Bronze angepinselte, zwischenzeitlich auf dem Dachboden seines Elternhauses zu Gehren gelagert gewesene Fürstenstatue auf dem Sockel im restaurierten Monument. -

Grüß dich, Karl Günther!

GREIFT NUR HINEIN

ins volle Nachtgeschirr! - So oder so ähnlich der Ratschlag eines jener berühmten Exilanten, auf welche Thüringen, wenn's ins Geschäft passt, nicht unberechtigt stolz

ist.

Beiläufig: Vielleicht sind auch in Hessen und im Schwabenland, auf Madagaskar und den Fidschi-Inseln hauptsächlich Einwanderer fähig und bereit, Außerordentliches hinzuklotzen - vorausgesetzt, das Klima stimmt, weshalb man sich da wie dort (und hier nicht minder) tunlichst um das Wetter kümmern und einschlägige Hürden nicht nur saisonal und nicht bloß für Kickerbeine niedrig halten sollte.

Also: reingegriffen! Beispielsweise in den Zeitungsbeilagen-Werbungsmüll. Und - wichtig! - beim Rausfischen, Durchblättern, Hingucken: Nicht die Nase verziehn und nicht gleich das Antlitz rümpfen!

Mittelalter ist, wie man unschwer ablesen kann, in und Hit bei all den Folk-Fest-Events im Freistaat, Mittelalter laif, aber - die Anmerkung sei erlaubt - das riecht man nicht. Unberührt - so scheint es - die thüringische Seele von jener erschütternden Erkenntnis, die einem anderen Exilanten allhier zuteilgeworden ist.

Der Autor H. H., ein seriöser Mann, hat davon Bericht gegeben: aufgeschrieben, wie weiland G. Freytag (der mit Ypsilon, nicht mit I, also nicht der berühmte Robinson-Gefährte, sondern der vormals gleichfalls berühmte Verfasser laufender Meter Literatur, dabei eine Romanserie, betitelt "Die Ahnen", in welcher es um unsere Vorfahren, beginnend bei jenen auf Bärenfellen, geht) - wie Freytag also aufbrach eines sonnigen Frühsommermorgens im heute eingemeindeten Siebleben bei Gotha, wo bis zur Stunde eine Bronzetafel mit Inschrift sein einstiges Wohnhaus schmückt, und weder zum Nachtmahl noch zur Bettzeit noch tags darauf und auch nicht anderentags heimkehrte zu seinen Lieben, sodass er denselben (und bald auch der Behörde) unter zunehmender Besorgnis als verschollen, gemeuchelt oder sonst wie entleibt zu gelten begann.

Was - gottlob! - nicht zutraf. Denn nach einiger Frist erschien in Siebleben eine Person, die sich als Freytag, G. (wie Gustav), identifizieren ließ und zu der man später auszubaldowern vermochte, dass sie an besagtem Frühsommermorgen auf einem sowohl der Dichtkraft wie der Verdauung förderlichen Spaziergang, vor Augen das auch als Wachsenburg bekannte "Nest der Zaunkönige" aus dem Zyklus "Die Ahnen", über die eigenen Füße stolperte, dabei in eine Zeitschleife geriet und sich unversehens unter jenen, von G. Freytag bedichteten Vorfahren befand.

"Diese Schweine, diese Schweine!", war alles, was der Heimkehrer, von gehabter Anschauung anhaltend erschüttert, über die bebenden Lippen brachte.

HEIMATKUNDE

Um sich jenen angemessen zu nähern, denen der Autor dieser -biografie Wesentliches verdankt, zunächst ein paar Zeilen aus einer "Heimatkunde für das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen" (gedruckt und auf den Markt gebracht im Jahre 1914):

 

"Heimat und Vaterland sind der Inbegriff des Schönsten, Süßesten und Teuersten, was an irdischen Gaben und Gütern dem Menschen verliehen ist. Schon nach seiner natürlichen Beschaffenheit hat unser Fürstentum Anspruch auf Anerkennung. An und auf und zwischen ansehnlichen Bergreihen und Hügelketten breiten sich seine einzelnen Teile aus. Schattige, vorzüglich bewirtschaftete und den Naturfreunden in zuvorkommendster Weise zugänglich gemachte Wälder, liebliche Täler, üppige Wiesengründe, fleißig angebaute, ergiebige Felder und wohlgepflegte Obstpflanzungen wechseln miteinander ab und bieten dem Wanderer reizende, zum Teil romantische Landschaftsbilder dar. Dazu haben wir, wennschon der Thüringer Wald gegenüber der wellenförmigen Ebene etwas rau ist, ein durchaus gesundes Klima und ebenso intelligente wie arbeitsame, ebenso lebensfrische wie biedere Bewohner. Unsere Heimat teilt den Charakter des lieben Thüringer Landes, dessen Name mit der ersten und zweiten Blütezeit der deutschen Literatur, wie mit der kühnsten Tat des deutschen Geistes, der Reformation, und mit der Entstehung und Bildung der neuhochdeutschen Schriftsprache unzertrennlich verbunden ist. Getrost dürfen wir es aussprechen: Unser Schwarzburg hat an allem Großen und Schönen, was Deutschland seit neunhundert Jahren hervorgebracht hat, lebendigen Anteil genommen: nicht nur empfangend, sondern auch handelnd, mitstrebend, mithelfend; es hat auch, was ja bei allem menschlichen Werden, Schaffen, Kämpfen unausbleiblich ist, in trüben, schweren Zeiten mit geduldet, mit gelitten."

Um das zu konkretisieren und zu ergänzen, ein paar Worte zu Neustadt am Rennsteig, der Ortschaft, der sich der Verfasser dieser -biografie natürlicherweise besonders verbunden fühlt:

Der "Dutzendname" Neustadt bedarf eines Zusatzes, um von seinen Namensvettern (das Postleitzahlenbuch verzeichnet 29) überhaupt unterscheidbar zu sein. Dabei ist das Neustadt am Rennsteig vergleichbaren Ortschaften nicht nur ebenbürtig, sondern auch älter, als der Name vermuten lässt. Laut eisfeldischem Erbbuch von 1660 wird in einem Lehensbrief des Kurfürsten Friedrich von Sachsen aus dem Jahre 1489 "eines Harzwaldes an der Neuenstadt bey der Schleuse gedacht", und Georg Brückner, Autor einer "Landeskunde des Herzogthums Meiningen", gibt gleichfalls 1489 als Jahr der ersten Erwähnung von "Neuenstadt... am Ursprung des zur Tanne fließenden Seidelbachs" an.

Die "neue Bergstadt" - so in alten Briefen - wurde, vermutlich infolge des 30-jährigen Krieges, zur Wüstung, und erst um 1700 kam es zur Wiederbesiedlung. Fördernd wirkte dabei ein Gewerbe, das in der Folgezeit für Neustadt am Rennsteig eine Art Markenzeichen abgab: die Herstellung von Zunderschwämmen, wozu für Interessierte ergänzend zitiert sei: "Der rote Schwamm (Boletus igniarius) wurde" - nach Brückner - "zum Theil in der Nähe, z. Th. aus weiter Ferne (Karpathen und Schweden) bezogen, dann durch zweimaliges Einweichen und Klopfen, durch Kochen in einer Beize und durch Riffeln umgearbeitet und so in den Großhandel gebracht oder im Einzelnen auf Märkten verkauft."

1845 waren in Neustadt 140 Personen mit der Fabrikation von Zunder, "Gesundheitsläppchen" und Dochten für Feuerzeuge beschäftigt - Waren im Wert von 14.000 Gulden und doch Produkte eines aussterbenden Gewerbezweiges. Bald darauf wurde die "Schwammklopferei", wegen des dabei freigesetzten Porenstaubes übrigens eine stark lungenschädigende Tätigkeit, abgelöst von der noch weitaus gefährlicheren Herstellung von Zündhölzern, die 1851 bei einer Produktion von 350 Zentnern ca. 100 Familien Heimarbeit bot und die infolge der Verwendung von Phosphor oft zu Knochennekrosen im Kiefer führte. So schrieb 1880 eine ärztliche Regierungskommission von "traurigen Gestalten, eingefallen und frühzeitig alt geworden, manche mit schauerlichen Merkmalen der überstandenen Kieferkrankheit im Gesicht".

Neben der Bearbeitung von Buchenschwämmen hatte bei der Wiederbesiedlung von Neustadt die Glasindustrie eine maßgebliche Rolle gespielt. 1698 war dem Glasmeister Nicol Schmidt und seinem Kompagnon Georg Heinz die Konzession für eine Glashütte "am Berge Neustadt zwischen Erleflecken und dem Breiten Brunn" erteilt worden, doch ist die Geschichte der ersten Neustädter Hütte, welche "auf Meininger Gebiet südlich des Rennsteigs am Seidelbach" stand, nach Brückner "wie die der Hütten zu Fehrenbach und zu Friedrichshöhe eine lange Reihe von Restenforderungen an Waldmiethe und Feuerholz, von Verweigerung des Holzes und Petitionen, von Drohungen mit Entziehung der Privilegien (1698 und 1734) und hartnäckigem Verharren beim Betrieb, von Erhöhung der Holzpreise und erlangter Minderung und von starker Consumtion der Waldhölzer".

Die "Neustädter Glashüttengewerkschaft", von der Brückner berichtet, hatte "ein Privilegium für 12 Stühle zur Fertigung von Tafelglas mit Grundbesitz an Wohnhäusern, Feld und Wiesen (dem sogenannten Hüttengute) und mit Gerechtsamen an Hut, mit bezüglicher Feuerholzberechtigung und mit der Tranksteuerfreiheit auf 60 Eimer", und sie musste "außer Grundsteuern und Erbzinsen noch Lehngelder" für das Hüttengut zahlen.

1791 brannte die Hütte ab. 1817 wurde ein Neubau vom Sturm verwüstet, zwei Jahre später, nach erfolgter Beseitigung der Schäden, der Betrieb eingestellt. Danach verfielen die Gebäude, und 1831 erlosch die Konzession, an der die Eigentümer bis zuletzt festgehalten hatten.

Für den Niedergang macht Bückner außer dem Mangel an Holz und an Betriebskapital Überbevölkerung verantwortlich. Immerhin zählte Neustadt, dem seit der Wiederbesiedlung nördlich des Rennsteigs, beginnend am Wirtshaus "Zum goldenen Frosch", ein Schwarzburg-Sondershäuser Teil zugewachsen war, 1810 bereits 581 Seelen - angesichts der kränkelnden Glasindustrie und der verblühten Schwammklopferei eine bedenklich hohe Zahl, und in der Tat hatte man regierungsamtlicherseits schon 1746 den Neustädtern geraten, sich anderen Erwerbszweigen zuzuwenden, und 1755 zeitweilig den Plan gehegt, die Bevölkerung auf Landeskosten nach Mecklenburg "für eine dort bestimmte Thätigkeit" umzusiedeln.

Dieses Ansinnen zerschlug sich, doch die wirtschaftliche Bedrängnis blieb trotz Phasen des Aufschwungs. So wurde die 1907 auf der "Meininger Seite" von der Firma Wiegand & Bulle errichtete Glashütte wegen zu hoher Transportkosten (4 km bis zum Bahnhof Neustadt-Gillersdorf) 1931 stillgelegt, desgleichen 1941 die 1905 von der Firma Wiegand & Schmidt auf der "Schwarzburger Seite" gegründete Hütte, und ein ähnliches Schicksal erlebte die Zündholzindustrie, die nach jener "Phosphorzeit" von 1948 bis 1964 in der alten, 1994/95 abgerissenen Wiegandschen Hütte fortgeführt worden war. Eingegangen ist schließlich auch die Zigarrenproduktion, die zwischen 1908 und 1964 bis zu 100 Beschäftigten Lohn und Brot gewährt hat - ganz zu schweigen von Stilllegungen in jüngster Zeit.

Trotz solcher Rückschläge sind die Neustädter, wie ihnen schon Brückner Mitte des 19. Jahrhunderts bescheinigt hat, "ein meist hübscher" Menschenschlag geblieben, "in Gang und Sprechen langsam, aber ausdauernd, unternehmend, dabei fröhlich und neckend, gesang- und wanderlustig ..."

Aus: "Rund um die Talsperre Schönbrunn", Hermann Haack Verlagsgesellschaft mbH, Gotha 1992

VOM VATER HAB ICH -

ja, was denn? Und was vom Mütterlein? Und die beiden - woher hatten die ihr's, und ihr's - was jeweils war das?

Hilft nichts; in diesem Vorspann - und vor allem beim anzuhängenden Ochsenkarren - muss der Schreiber, der vormals als Schriftsteller galt und auch selber sich so verstand, als Ich in die Sielen.

Ich also - im Folgenden und bis auf Weiteres Ich (bei Bedarf). Meinetwegen: Ich mit dem Beiwort nackt, das durchaus treffend wär, vielleicht gar akzeptabel, hätt es nicht unappetitlichen, kaum mehr kaschierten Medien-Ekelfleisch-Zeitgeist-Geschmack.

Das ersparen wir uns und der Leser- bzw. Interessentenschar, die sich übrigens - mitsamt mir und der Liebsten an meiner Seite - bereits in einer dritten Person, derzeit in Leipzig-Liederitzsch erreichbar, abzuzeichnen beginnt.

Was die möglicherweise marktbeflügelnde, nach obigem Einstieg vielleicht gar gehegte Hoffnung auf Sudel-Schmutz-Kleckerei betrifft: Auch diesbezüglich muss ich das werte Spanner-Bordell-Publikum enttäuschen. Kein Outing, weder en gros noch en detail, nichts Lecker-Perverses, über das man hübsch lüstern-correct sich entrüsten könnte.

Weshalb man dennoch reinlesen soll in die Folgenden - na, nennen wir sie: Kapitelchen!?

Soll man doch gar nicht. Wüsste nicht, dass irgendjemand das oder was Dahindeutendes anempfohlen hätte.

Wer also will, darf weiterblättern oder dies Büchlein mündich-bündich in die Ecke fleddern, und das gilt selbst für Dich - äh: Sie, mein Leipzig-Liederitzscher Hoffnungsträger und vorerst einziger ... He, sind Se noch dran?

Weg, auch der. - Na, macht nix; verbleibst ja Du, Liebste an meiner Seite, wenngleich das, was nun folgt, (wie überhaupt das meiste auf diesen Seiten) Dir längst wohl aus beiden Ohren sprießt. (Was hinwiederum nicht schlecht ist, dokumentiert es doch, dass von demselben, das zudem finalwärts erklärtermaßen mein Hauptgeschäft werden könnte, an reizvollem Ort ein Sämling offenbar schon Wurzeln gefasst hat.)

 

Rauskriegen, woher man kommt und wer man ist, und das tunlichst festhalten, auf dass vielleicht auch sonst jemand sich und seine Funkenflug-Sekunde begreift.

AHNEN (1) oder MEIN VATER STARB

Mein Vater starb in seinem 89. Lebensjahr, fünf Tage und vier Nächte, nachdem er und seine Ehefrau, unsere Mutter, in einem Seniorenheim unweit ihres Geburts- und Heimatortes ein Zimmer bezogen hatten.

Stunden zuvor, an einem Sonntagnachmittag, war er - anders als seit Längerem schon unsere Mutter - seiner Sinne noch halbwegs mächtig gewesen und hatte, fürsorglich wie eh und je und auch darin prinzipientreu, für mich, seinen fast 60-jährigen Ältesten, als seines Erachtens reellen wie angemessenen Job eine Landratskarriere in Erwägung gezogen.

Unwichtig, dass ich damals, 1999, mich nicht mehr als Schriftsteller verstand und, wenn auch nur als Vertragsarzt und auf betriebsmedizinischem Sektor, längst zu meinem Beruf zurückgekehrt war. Wichtiger wohl - und sicher schmerzlich - für ihn, meinen Vater, dass es bei mir, seiner Überzeugung nach, nicht gereicht hatte für eine ärztliche Niederlassung, wie mein fünf Jahre jüngerer Bruder als Gastroenterologe sie erfolgreich betrieb. (Bücherschreiberei war unserem Vater stets suspekt gewesen, und das selbst zu Zeiten, als diese Betätigung für die Meinen und mich durchaus was abwarf; für ihn war und blieb ich als Bücherschreiber eine Art "verdorbener Pfarrer", glich also jenem Schulzensohn ein paar Häuser weiter, der einst auf höhere Schulen gegangen war und es, bevor Barras und Ostfront ihn holten, zu nichts außer Sauf-Rauf-Renommier-Schulden gebracht hatte.)

Das also - eines der letzten Bilder von meinem Vater, den unsere Töchter bis heute ihren "Opschi" nennen: Er - im Profil vor einem Fenster, das Ausblick erlaubt auf ein Rasenstück, einen bewachsenen Hang und schiefergraue Wohnhauswände: ein kantiger Kopf mit markanter Nase und glatt zurückgestrichenen Strähnen; die Wangen - voller Äderchen seit einer Erfrierung während einer winterlichen Motorradfahrt zu Hospitationen an der Bauhochschule Weimar Mitte der 30er Jahre; und an diesem - seinem letzten - Lebenstag, Stunden vor dem Ersticken am eigenen Blut nach einem Sturz beim Aufstehn aus dem Bett (in Neustadt als Sturz aus dem Fenster kolportiert): mit brüchiger Stimme jene fürsorgliche, nur scheinbar einer Schnapsidee entsprossene, bei einem Rückblick auf seinen Werdegang und seine Verhältnisse durchaus erklärbare Erwägung.

 

Selber hatte er, mein Vater, obwohl sein Lebtag Auto-Motorsport-Fan, das Malerhandwerk erlernt, genauer: diesen Beruf, zu dem die Lehrzeit (anders als die zum Schlosser) ohne Lehrkostenzuschuss möglich war, erlernen müssen, hatte mit 24 1/2 (!) den Meisterbrief erworben, sich selbstständig gemacht, die Saure-Gurken-Winterzeit zur Weiterbildung, speziell in Schriftgestaltung, genutzt, aber auch Rennen gefahren, einen Langlauf-Meisterschaftstitel gewonnen, Sauftouren (gelegentlich mit zünftiger Wirtshausschlägerei) absolviert.

Am 6. November '38 heiratete er, der Malermeister August Beetz, 28-jährig Elisabeth, die sieben Jahre jüngere Tochter des Bau- und Möbeltischlers Magnus Christ und seiner Ehefrau Clara, geb. Ebert.

Clara und Magnus also - meine Großeltern mütterlicherseits, damals 47 bzw. 48 Jahre alt.

In deren Haus, einem sogenannten Mehrzweckgebäude, bezogen Lisbeth und August im Obergeschoss 2 1/2 Zimmer (Wohnküche, Schlafgelass und ein Durchgangszimmer, das sogenannte "Stübchen") - im Wesentlichen der Wohnraum, den sie fortan fast auf den Tag genau 60 1/2 Jahre nutzen sollten. (Hinzu kamen später zwei Räume gegenüber, jenseits vom Treppenflur; der eine, geräumigere: bis zum Tod des Großvaters das Schlafzimmer der Großeltern, der andere: anfangs die Schlafkammer von Marie, der Mutter-, Groß- und Urgroßmutter, dann zeitweilig die Kammer von uns, den Söhnen bzw. Enkeln des Hauses, danach - in Ferienzeiten - Kuschelgemach unserer Kinder, zuletzt Gelass für den einen und/oder den anderen seltenen Besuch).

Unten, rechts vom Hausflur, befanden sich die Küche und die Stube der Großeltern, links die Tischlerwerkstatt des Großvaters: ein Raum, ein einziger, großer, für die Hobelbank, die Säge- und die Fräsmaschine, das Werkzeug und den Herd mit dem blubbernden Leimtopf. - Abgegrenzt: die fensterlose Tapeten- und Farbenkammer des Vaters, dem anfangs auch eine Dachkammer als Lagerraum diente.

Vom Flur, dem Hausehrn, gelangte man durch eine schmale, niedrige Tür in ein Zwischenreich - bis in die Nachkriegszeit, mit Wänden aus Lehm und auf gestampftem Estrich, der Ort für die Waschküche, das Plumpsklo, für Brennholzstapel und Landwirtschaftsgerät, später, nach einem Um- und Anbau Anfang der 50er Jahre, zudem massive Malerwerkstatt mit schrägem Flachdach.

Hinter all dem, erreichbar, von der Straße her, auch über eine heuwagenbreite, mit dem Nachbar gemeinsam genutzte Zufahrt: der Stall und die Scheune - für uns das, was (samt Zubehör an Vieh, Wiesen und Äckern) seit Generationen und bis in die Neuzeit, wenngleich nicht unter diesem modischen Namen, als zweites Standbein galt und was darüber hinaus für mich bis zur Stunde einer der wichtigsten, erinnerungsträchtigsten Weltwinkel ist.

Fast genauso bedeutsam: der Dachboden und das Kellergewölbe.

Zum Keller ging es (und geht's wohl noch heute) im Hausflur hinter einer niedrigen Tür, vorbei an Vorratskonsolen und -nischen, auf schmalen, stets feuchten Steinstufen hinab. Unten, im Schummer, der rechts zum Kellerloch hereindringt, Kartoffel- und Rübenlager, davor an der Gewölbewand, am Anfang einer Rinne und später zubetoniert: ein Brunnen, eine spärlich fließende Quelle mit einem - so der Großvater - uralten, goldäugigen Frosch als Bewohner, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich denselben je vor Ort oder mehrfach nur im Wachtraum leibhaftig gesehen habe.

Der Dachboden als Gegenpol: hinter einer hochklappbaren Tür, oben am Ende knarrender, ausgetretener Stiegenstufen - links unter der Dachschräge unser Brennholzlagerplatz, vorn, mit eisernem Einsatz, ein Schornstein, der vormals auch als Räucherschacht diente, dahinter die Farbenkammer, später umfunktioniert zum Schlafgemach und von unserer Mutter "Wolkenkuckucksheim" getauft, und rechts der große, rumpelkammerähnlich vollgestellte, nie gänzlich erkundbare Bodenraum mit einer Leiter zum endgültig obersten Winkelgelass unterm First; ganz hinten schließlich, in einer Nische hinter der Farben-Schlafkammer und unter der anderen Dachschräge, zur Zeit, als der Großvater noch lebte und als Tischler noch tätig war, ständig ein Sarg - nackt, ohne Anstrich, ohne Beschläge, bereit zu raschem Herrichten bei Bedarf.

 

Das zur Gestalt des Hauses, das nach dem Auszug unserer Eltern, nach ihrer Übersiedlung in jenes Seniorenheim, zwei Jahre leerstand, eh es in andere Hände kam, in - gottlob! - geschickte, dennoch fremde, umgestaltungswillige Hände, weshalb es nunmehr so, wie es auf diesen Seiten erscheint, nur noch in der Erinnerung existiert.

Rückkehr, die keine Heimkehr wär, dies nie mehr sein kann; abgehängt: die Uhr vorn an der Wohnküchen-Herzkammerwand, der Abreißkalender, das Foto vom Bruder, Onkel und Schwager; die Abendsonne, die dort ihren Rastplatz hat, nun bei Fremden zu

Gast.

Um aber die Rührseligkeit nicht ausufern zu lassen - die Nase geputzt und, weil sie hierher gehören und hierher passen, noch ein paar sachliche, dem Verständnis dieser -biografie dienliche Zeilen!

Erbaut wurde unser Elternhaus, soviel sich erkunden ließ, in seinem bis heute erhaltenen Grundgemäuer um 1800 von einem der Urgroßväter einer meiner Urgroßmütter, dem "Hegereuter" Friedrich Lich ("berittener Verwalter des schwarzburgischen Forstreviers an der meiningischen Grenze", mithin eine Art Oberförster, Sohn eines Grenzjägers aus dem Fränkischen und einer geb. Greiner, Amtmannstochter aus der Sippe des Schwaben Hans Greiner, der 1525 in Langenbach beim heutigen Schönbrunn die älteste Glashütte im Thüringer Raum, die "Mutterglashütte des Waldes", gegründet hat) - erbaut (unser Elternhaus) an der späteren Bahnhofstraße (mit Hausnummer 11) auf Ackerland, das hintenrausreichte (und -reicht), gleich anderen gehöftbreiten Hausackerstreifen, gut tausend Fuß weit und bis dicht an den Rennsteig, die einstige Landesgrenze.

Links, also an seiner Südflanke, wird der Hausacker knapp zur Hälfte - parallel zur Rennsteigstraße - bis zu einer Abbiegung begrenzt und begleitet vom "Kutschenweg", auf dem vormals der Landesherr bei Visiten oder nach Jagdausflügen in diesem südwestlichen Winkel seines Fürstentums vorfuhr, um im Forsthaus (später Bahnhofstraße 5) zu rasten.

Bahnhofstraße 11 liegt drei Haustüren weiter, rund 200 Schritt seitab vom Rennsteig, nahe jenem Punkt, wo, wie schon zitiert, der Ortschaft nach ihrer Wiederbesiedlung (ab 1700) ein Schwarzburg-Sondershäuser Teil "hinzugewachsen" ist (und später, als Neustadt zum Höhenluftkurort avancierte, ein Kurpark entstand). Ein Stück dorfteilaufwärts und gegenüber, also auf der anderen Seite der Bahnhofstraße, mit Nummer 18: das Elternhaus unseres Vaters, der Wohnsitz von Großvater Richard - vielleicht 100 Schritt entfernt von unserem Elternhaus, bei aller Verwandt- und Nachbarschaft aber Zentrum einer eigenen Welt. (Ein paar Einzelheiten hierzu: sobald sie fällig sind.)

Zunächst etwas zu einigen Ahnen, die für das Verständnis gewisser Fügungen wenigstens benannt werden müssen - Vorfahren übrigens, die allesamt zu Zeiten, als die Hebamme noch ins Haus kam, in Bahnhofstraße 11 "das Licht der Welt erblickten".

Vor meinem Bruder und mir waren das an diesem Familienstrang neben manchen anderen: unsere Mutter, unser Großvater Magnus, unsere Urgroßmutter Marie und unsere Ururgroßmutter Christel.

Diese Ahne, Enkeltochter jenes Hegereuters und Vorletzte von sechs Geschwistern, erscheint - nach allem, was überliefert ist - als höchst vitale Frau: Dreimal verheiratet, dreimal verwitwet, hat sie ihren beiden Söhnen aus zweiter Ehe den Besuch höherer Schulen und den Erwerb eines Lehramtes ermöglicht, wobei es der ältere Sohn zum Gymnasialdirektor brachte, Karl Otto, der jüngere Sohn, zum Schulrat, zum Herausgeber der Zeitschrift "Die Pädagogische Warte" und der Reihe "Bücherschatz des Lehrers", auch zum Autor einiger belletristischer Werke, so einer dreibändigen Märchensammlung mit dem Nornen-Namen "Urd" und einer Autobiografie mit dem Titel "Ausfahrt und Heimkehr" (Verlag A.W. Zickfeldt, Osterwieck/Harz 1930).

In diesem "Rückblick auf den Lebensgang eines Schulmannes" benennt K.O. Beetz als Guthaben seiner Mutter: "die eine Hälfte von einem der beiden Häuser, die der fürsorgliche Hegereuter hatte erbauen lassen", dazu, "einschließlich des Nachlasses ihres zweiten verstorbenen Mannes, an Äckern und Wiesen so viel, dass sie die nötigen Bodenerzeugnisse für den Bedarf der Familie und den Unterhalt von zwei Stück Großvieh und einem Schwein herauswirtschaften konnte".

Zwei Stück Großvieh - zwei Kühe, von denen erst die eine, dann die andere (bzw. eine herangezogene Nachfolgerin) verkauft wurde, um den Schulbesuch und das Studium der beiden Söhne anteilig zu finanzieren.

Was gelang, wobei - laut K.O. - Voraussetzung waren: "unermüdlicher Fleiß und der Segen des Himmels" sowie "dessen ungeachtet ... äußerste Einschränkung".

Für Marie, das Mädchen und Schwesterchen aus dritter Ehe, reichte es nicht zu Vergleichbarem (selbstredend nicht - im Verständnis jener Zeit), und als K.O. eine Generationsspanne später, 1905, seinem Neffen Magnus Christ einen beruflichen Werdegang, ähnlich dem eigenen, ebnen helfen wollte und einiges hierfür schon eingeleitet war (und der Neffe erwartungsvoll bis begeistert), da machte Mutter Marie, Tochter der Christel Kahl, verw. Beetz, und des Schwammklopfers Magnus Kahl, Gattin des Schreines Konstant Christ, das, was man in Neustadt am Rennsteig einen "Zeß" nennt und was sich annäherungsweise bagatellisierend übersetzen lässt in "Zank-Streit-Gebrüll"; Refrain und Hauptargument: "D'r Jung wörd Schreiner unn übernimmt d'e Warkscht unn's Haus unn's Vieh!"

So wurde Magnus Christ, gutherzig und harmoniebedürftig, wie er war (im Übrigen auch - gleich seinem Vater Konstant und seinem Großvater Magnus Kahl - spottlustig und sangesfreudig): Schreiner bzw. Bau- und Möbeltischler, und als - abermals eine Generation später, nunmehr 1932 - seine Tochter Elisabeth nach acht Jahren als unangefochtene Klassenbeste den Wunsch äußerte, den sehnlichen Wunsch, das Schneiderhandwerk zu erlernen, da war die Fräsmaschine abzuzahlen, und zur Lisbeth blieb nur - nein: bot sich (nach Vermittlung durch K.O.) die Gelegenheit, sich für Kost und Logis bei entfernten Verwandten als Haushaltshilfe zu verdingen.

Ihr Bruder, unser Onkel Gotthard, begann 1936 in der väterlichen Werkstatt eine Tischlerlehre, brach dann aber aus und fuhr zur See, bis er zur Kriegsmarine überwechseln musste, und als 1953 zum Schreiber dieser Zeilen die Entscheidung anstand, auf die höhere, die Oberschule zu gehn - und vier Jahre später, vorm Abitur, die Entscheidung, was zu studieren - selbst dabei spielten Erwägungen zur Übernahme der Werkstatt daheim, des Hauses, der Wiesen und der Äcker eine Rolle.

Das aber war zu einer anderen - grundsätzlich anderen Zeit.

AHNEN (2) oder UNSERE MUTTER IST

Unsere Mutter, geboren im Oktober 1917, ist seit ihrem 80. Lebensjahr nicht mehr Herrin ihrer Sinne - der gleiche Zustand, dem ihr Vater, unser Großvater Magnus, im Alter von 69 Jahren verfiel - und vor ihm seine Mutter, unsere Urgroßmutter Marie, mit etwa 80 Jahren. (Ich, unlängst 67 geworden, gehöre vom Wesen her, ja selbst dem Erscheinungsbild, dem "Phänotyp", nach, voll in diese Linie: gleiche Charakterzüge und ähnliche Veranlagung wie meine Mutter und wie ihr Vater; Statur und Mimik derart verwandt, dass man mich gelegentlich etwas einfältigen Zeitgenossen gegenüber als jüngeren Bruder meiner Mutter ausgeben konnte, und sogar unser beider Augenfehler - ein myoper Astigmatismus, links stärker als rechts - so, dass wir bis zur Stunde dieselbe Brille nutzen könnten, wenn denn meine Mutter, eine Brille zu nutzen, noch in der Lage wär.)

Es handelt sich bei ihr, wie Fachkollegen uns bestätigt haben, nicht etwa um Demenz vom Alzheimer-Typ, zumindest nicht um das "Vollbild" dieser Krankheit, auch nicht um deren üblichen Verlauf.

Ähnlich - die Auskunft, die mir der Chefarzt gab, als ich, Student und in den Semesterferien daheim, im Sommer '59, Wochen vor seinem Tod, unseren Großvater im Krankenwagen begleitet hatte - nach Hildburghausen, auf derselben Route, die er gut ein halbes Jahrhundert zuvor in die Schreinerlehre gezogen war. (Der Blick, der unterwegs in einem lichten Moment mich erfasste, und ein Seufzer ... "Ach, Jung '...")

Von Marie, der Mutter, Groß- und Urgroßmutter, wusste das Familien-Gedächtnis zu berichten, dass sie - wie unser Großvater während seiner letzten zwei, drei Monate daheim - an Schlaf-wach-Umkehr litt, nachts, verwirrt und von Ängsten getrieben, umherlief und schrie und ausreißen wollte, sodass man sie einschließen und bewachen und, wenn Fliegeralarm war, sogar anbinden musste. (Beim Großvater waren es zuletzt Nacht für Nacht die Schützengräben an der Marne und vor Verdun, wohin er sich zurückversetzt wähnte und wo er durch einen Streifschuss am Kopf verwundet worden war - für jenen Chefarzt möglicherweise "ein beschleunigender Faktor" einer "präsenilen Demenz".)

Die Vorboten solchen Verfalls, die "Prodromalsymptome"? Zur Urgroßmutter Marie wurde beispielsweise berichtet, dass sie mich, der ich versehentlich auf den Vornamen Dieter getauft worden bin, beharrlich, ja beinah störrisch ihr "Friederle" nannte; und an Großvater Magnus fiel mir im Rückblick auf, dass er spätestens ab einem Alter um die Sechzig beim Mähen unserer Wiesen zunehmend Not hatte, selbst mit mir, dem 12-jährigen Mäh-Eleven, Schritt und Mahdbreite zu halten, da er nach solcher Schwerarbeit, anders als noch Jahre zuvor, nicht schlafen konnte und nichts essen mochte und, schlaflos-erschöpft, nächtelang "schmökerte", dabei (so Großmutter Clare hilflos-besorgt) "seine Gedanken verlas" - vielleicht auch, ja hauptsächlich, wie mein Bruder meint, vorzeitiger Verschleiß infolge lebenslanger Überforderung bei nicht allzu robuster Kondition. (Wie stünde es wohl um uns beide, die wir jetzt Mitte bzw. Anfang der Sechzig sind, hätten wir von Kindheit an malochen müssen wie die meisten unserer Altvorderen?)

Bleibt dennoch dieser Schatten, dieses Lawinenmassiv: bei der Urgroßmutter mit etwa 80, beim Großvater mit 69, bei der Mutter seit dem 80. Lebensjahr ...

 

Mit knapp 78 jedenfalls, im Spätsommer '95, als unser Vater wegen einem Gallenwegsverschluss auf Intensivstation lag - damals war unsere Mutter bis spät in den Abend mit Sicherheit noch so drauf, wie ich sie seit jeher kannte: nicht nur in früheren Erinnerungen daheim (und dabei - trotz aller Sorge um den Vater - nachgerade selig), auch zu jüngsten familiären Verquickungen voll orientiert und bei Äußerungen kritisch-gerecht.

Das überhaupt erscheint mir als ihr bemerkenswertester, als ihr nobelster (und für mich vorbildlichster) Wesenszug: ein ausgeprägt

er und unbedingter Gerechtigkeitssinn. So hat sie nie versucht, ihren Schwiegertöchtern gegenüber auf Mutterrechte zu pochen, und wenn einer von uns Söhnen sich mal in Weibergeschichten verstrickte (und unsere Eltern davon erfuhren), war sie - anders als unser Vater, der impulsiv und fast machohaft stets für den Sohn Partei ergriff - fähig und bereit, vernehmbar anzumerken, dass "auch dazu wenigstens zwei" gehören.

Nicht, dass sie unanfechtbar gewesen wär, grundsätzlich anders als ihresgleichen, quasi ein weißer Rabe in Neustädter Flur - das nicht. Als ich, jungverheirateter Familienvater, mich anschickte, zur See zu fahren (als Schiffsarzt, um einen Roman zu schreiben), da erlag Mütterchen Lisby - wenngleich, meines Wissens, nur dies eine Mal und selbst dabei auf die ihr eigene Weise - einer Anwandlung echt wäldlerischer Art: indem sie versuchte, meine Eheliebste anzustiften zu einem Zeß á la Großmutter Marie.

"Ich tät heulen, heulen und schrein und mich an ihm festklammern."

"Du kennst ihn doch und weißt: Wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat ..."

(Womit die Anwandlungs-Attacke beendet war und alsbald eine Zeit zusätzlichen Bangens begann: anfangs, wenn in den Nachrichten die Rede ging von schweren Stürmen über dem Nordatlantik; später, wenn in einem Brief begeistert berichtet ward zum Beispiel von einem Bordell-Besuch mit Bord-Kumpanen - "zum Gucken, wirklich nur zu Studienzwecken" - in der Falkland Road zu Bombay.)

Es war dies zudem die Zeit, da Sabine, unsere Älteste, im Haus Bahnhofstraße 11 zu Neustadt in der Obhut ihrer Oma Lisbeth, tatkräftig unterstützt von Uroma Clare und von Opa August argusäugig überwacht, ihre ersten Schrittchen absolvierte - ähnlich wie Jahre später ihr Schwesterchen Claudia und danach zeitweilig Vetter Christian und Base Eva-Maria (nicht krummnehmen, ihr zwei, das Ur-und-Ururgroßoheim-K.O.-Vokabular in diesem Zusammenhang und -klang!) - die Zeit nicht zuletzt, zu der Mutter und Großmutter Lisbeth später wieder und wieder verklärt geäußert hat, es sei in ihrem Leben für sie die Schönste gewesen.

Klar, dass an jenem Spätsommerabend '95, als wir am Wohnküchentisch hockten und um den Vater bangten, nicht nur Enkel- und Kinder-Begebenheiten zur Sprache kamen; auch zu ihm, dem "Opschi" - von einem seiner Enkel mit dem arg übertreibenden Unmutstitel "Schimpferich" bedacht - wurden die eine Episode und das andere Schnerzchen aufgewärmt, (wobei mir jetzt, reichlich 11 Jahre später, bewusst wird, dass Mutter Lisby - normales Alterszeichen oder am Ende doch ein Vorbote? - ferne, längst ergraute Momente besonders farbig ins Auge fasste).

Erinnern, wieder und abermals, erinnern und weitererzählen, tunlichst gar festhalten, auf dass, was war und vergangen ist, bewahrt bleibe und dienlich sei, dienlich für trübe oder sonst wie bedürftige Stunden.

Dieter

 

Als Jahre später, weit in der Nachkriegszeit, eine Uwe-Seeler-Namenswelle über Deutschland, Ost wie West, zu rollen begann und eine Uroma aus dem Dorf ihr eben geborenes Enkele auftragsgemäß hatte einschreiben lassen unter dem auch dem Beamten befremdlich erschienenen, der Uroma aber angeblich so und nicht anders aufgetragenen Vornamen "Wuwe", da empfand obengenannter Dieter spontan tiefes Mitleid; und als dieser Dieter, wiederum Jahre später, im April '58, und nunmehr Student zu Leipzig, nach ein paar vergeblichen, unter dem Decknamen Richard Magnus betriebenen Publikationsversuchen vor seinem ersten, bald darauf veröffentlichten Text saß und mittels geliehener Schreibmaschine kurzerhand den klangreichen Dietmar an den Kopf (den des Textes) tippte, da war sein postnsaCctales Vornamens-Identitätstrauma eher geoutet denn kuriert, und seither erwidert er Lästerei diesbezüglich oft und ungern durch Hinweis auf namhafte Leidensgefährten der Zunft, so auf Jack, der John, auf Heinrich, der Harry, auf Harry, der eigentlich Lothar hieß.