Impressum

Wolf Spillner

Durch Urwald und Dünensand

Aus Naturschutzgebieten und Nationalparks der CSSR, der VR Polen und der DDR

 

ISBN 978-3-95655-340-0 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1984 bei
Der Kinderbuchverlag Berlin

 

Fotos: Wolf Spillner

 

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Zum Beginn

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Mit dem Pferdegespann im Nationalpark von Biatowieza

 

Für dieses Buch bin ich fast dreißigtausend Kilometer gefahren und viele Hundert Kilometer gewandert und geklettert. Bekannte und unbekannte Pflanzen und Tiere in geschützten Landschaften wollte ich beobachten und fotografieren, um darüber berichten zu können. So kam ich in verschiedene Naturschutzgebiete und Nationalparks in der Volksrepublik Polen, in der CSSR und in unserem Lande. Von den Seen der wilden Gänse und seltenen Schwarzhalstaucher meines mecklenburgischen Dorfes, über die im Frühjahr und Herbst die Seeadler fliegen, bin ich zu den scheuen Wisenten gefahren und vor ihnen davongerannt. Durch glutheißen Sand der Wanderdünen an der Ostsee bin ich gestapft und durch den Sommerschnee der Hohen Tatra, dort, wo die Karpatengämsen leben. In den regennassen Waldbergen der Bieszczady habe ich den Schwarzstorch auf seinem Nest gesehen und die seltene, kleine Orchidee Korallenwurz auf der Insel Rügen. Unter der Tarnkappe meines Versteckzeltes habe ich mit Notizbuch und Kamera auf Bäumen und im Sumpf, zwischen Felsgeröll und im Schnee gesessen, um die scheuen Tiere zu belauschen und Bilder von ihrem Leben für dieses Buch zu sammeln. Das war nicht immer leicht. Aber es war immer schön, denn viele freundliche Menschen, die sich in den Reservaten und Nationalparks für uns alle um den Schutz der Natur sorgen, haben mir sehr geholfen. Nur so konnte dieses Buch im Laufe einiger Jahre entstehen. Ich habe viel von der Schönheit der Natur gesehen und doch nur einen Teil vom Reichtum unseres blauen Planeten.

Möwen, Taucher, wilde Gänse

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Der Nestbaukünstler Beutelmeise ist einer der seltensten Brutvögel an den Dambecker Seen

 

Über diese Seen fliegen viele Vögel. Das Trompeten der Kraniche klingt dort im Frühjahr und Herbst, der klagende Flötenruf der Brachvögel im späten Sommer und das Geschrei der Blessgänse bis in den Winter hinein. Im Frühjahr und Sommer werden die beiden Seen von den Vögeln nicht nur überflogen, dann sind die kleinen Inseln, die weiten Schilfzonen und die verkrauteten Flachwasserbuchten Brutstätten und Mauserplätze. In dieser Zeit verstummen die Vogellaute nie, nicht am Tage und nicht in der Nacht.

Die Seen sind nicht sehr groß. Wenn die Kraniche in winkligen Flugkeilen am blassen Frühjahrshimmel zu ihren Brutplätzen ziehen, überqueren sie das Wasser und die Schilfwälder unter sich in wenigen Minuten. Wie zwei seichte Schüsseln liegen die Seen im flachwelligen Land nebeneinander. Aus der Höhe ihres Fluges könnten die Kraniche weit zur Linken die Türme der Stadt Wismar und dahinter die Ostsee erkennen und fern im Süden die Bezirksstadt Schwerin. Um die Seen breiten sich Felder, im Westen schließt sich ein Torfmoor an, und vier Dörfer liegen rund um die Seen.

Die Kinder aus den Dörfern können in diesen Seen nicht baden. Das Wasser ist zu flach und der Seegrund mit einer dicken Schicht verrottender Pflanzen bedeckt. Und wenn das Wasser warm genug zum Baden ist, dann wird es dicht von Wasserpest, Wasserschlauch und anderen Pflanzen durchzogen. Algen bilden auf seiner Oberfläche große, gelbgrüne Teppiche. Millionen und aber Millionen brauner und roter Wasserflöhe tanzen im Wasser zwischen den Pflanzen umher. Wer mag in solcher »Suppe« aus Wasserflöhen baden? Die Kinder fahren daher zum tiefen Rugensee, zur Ostsee oder zum großen Schweriner See.

Die Vögel aber lieben die Seen mit den vielen Wasserpflanzen. Auch jene Wasservögel, die an anderen Gewässern schon selten geworden sind, nisten dort. Deshalb stehen die Seen zwischen den Feldern von Bobitz und Drispeth, Wendisch Rambow und Dambeck unter Naturschutz. Kein Jäger darf hier den Gänsen und Enten nachstellen, kein Angler mit seinem Boot die Trauerseeschwalben, Schwarzhalstaucher und Bartmeisen stören. Das Naturschutzgebiet Dambecker Seen gehört den Wasservögeln.

Im Winter ist es still an den Seen. Nur der Wind pfeift über das Eis, biegt das Röhricht und fegt den Schnee von den Feldern hinter Hecken und im Schilfwald zu meterhohen Wehen. Von den Schwarzpappeln und Weiden halten Bussarde Ausschau nach Mäusen, der Fuchs lässt im Schnee die Perlschnur seiner Spuren zurück, und in der Dämmerung brechen die Wildschweine durch das raschelnde Schilf. Selten nur wispern ein paar Blaumeisen, die aus dem Moorwald kommen, zwischen den Schilfrispen. Solange das Eis die Dambecker Seen gefangenhält, bleiben die Wasservögel dort, wo es wärmer ist als bei uns.

Die Graugänse haben das Schutzgebiet schon im Sommer verlassen. Mit ihren Jungen sind sie davongeflogen. Doch im Herbst, wenn die Schlehen in den Hecken reifen und der Weißdorn mit roten Beeren überschüttet ist, ziehen andere Wildgänse an die Seen. Zunächst sind es nur wenige, dann hundert, und Ende Oktober fallen Bless- und Saatgänse, die aus Sibirien und von Skandinavien kommen, zu Tausenden ein, um hinter dem Schilf auf der großen, freien Wasserfläche zu schlafen. In mondhellen Raureifnächten klingen ihre Stimmen hell und keifend weit über die Seeufer hin. Morgens in der Dämmerung erheben sie sich flügelrauschend und verteilen sich über die Felder. Dort äsen sie die jungen Spitzen des Wintergetreides. Zur Mittagszeit finden sie sich wieder auf dem Wasser ein. Die vielen Schnatter-, Stock- und Tafelenten, die Blessrallen und Schellenten weichen ihnen aus, denn jetzt gehört die große Wasserfläche allein den Gänsen.

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Im Herbst besucht der Seeadler die Seen fast täglich

 

Doch hin und wieder stiebt die große Versammlung auf. Auch alle Enten fliegen hoch, und die Blessrallen hasten platschend zum Schilf. Über die Feldbuckel streicht ein riesiger Vogel, kreist schwerfällig und stößt herab. Der Seeadler, der im Herbst fast täglich die Seen absucht, macht unter den Blessrallen leichter Beute als bei den scheuen Gänsen. Dort kann er nur schwache oder kranke Vögel schlagen. Fliegt er weiter zum Moorwald auf seinen Ruheplatz in der toten Birke, landen die Gänse wieder auf den Feldern und äsen bis zum Abend. Dann erst kehren sie zum Wasser zurück, rufen und schreien, und Gänseschwärme, die am Abendhimmel wie feine Perlenketten herangeweht kommen, antworten ihnen. Die Flugformationen kreisen in großer Höhe, lösen sich auf, die Gänse werfen sich von einer Flügelseite auf die andere, stoßen rauschend herab, fliegen sogar in Rückenlage und taumeln wie nasse Blätter im Herbstwind zum Wasser herunter.

Bis zum Frost bleiben die nordischen Gänse. Erst wenn Schnee auf den Feldern ihre Nahrung bedeckt, ziehen sie weiter westwärts, in die Niederlande, nach Belgien, an die Küste der Nordsee bis nach Südwestengland. Dort überwintern sie und mögen die Graugänse treffen, die lange vor ihnen davonzogen. Im Frühjahr äsen sie wieder auf den Feldern an den Dambecker Seen. Aber jetzt kommen auch die Graugänse schon zurück, manchmal noch vor ihnen, selbst dann, wenn sich das Eis noch auf den Seen hält. Da stehen sie wie verloren auf der brüchigen grauen Fläche zwischen den Schilfhalmen. Blauschwarze Wolken treiben vor dem Wind. Sie schütten Schnee und Graupel über das Land. Aber die Gänse rufen schon laut und frühlingshaft. Die alten, verpaarten Ganter recken die Hälse, laufen mit halb entfalteten Schwingen prahlend umher und verjagen die jungen Ganter. So löst sich der Winterverband der Graugänse in einzelne Paare auf, die ihre Nistplätze suchen. Nur die jüngeren Graugänse bleiben als Gruppe zusammen.

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Die Graugänse nisten bereits Ende März auf den Winterburgen der Bisamratten

 

Um diese Zeit sitzt, verborgen in einem hohlen Weidenstamm oder unter den Zweigen der Hecke am Seeufer, oft ein Mann aus Schwerin. Er trägt einen grünen warmen Anorak, eine gestrickte braune Pudelmütze, und er hat ein Fernglas. Jedes Jahr, wenn die Graugänse an die Dambecker Seen zurückkehren, beginnt er mit seinen Beobachtungen. Der Mann ist Brigadier einer Schweißerbrigade. Mit seinen Kollegen schweißt er die Stahlskelette für die großen Betonplatten, aus denen die Häuser der neuen Stadtteile von Schwerin gebaut werden. Dieser Mann ist nicht nur ein guter Arbeiter, sondern auch ein guter Vogelkundler. An den Dambecker Seen sorgt er als Naturschutzhelfer mit dafür, dass der Reichtum des Schutzgebietes ungestört erhalten bleibt. Er heißt Franz Höckendorff. Jedes freie Wochenende verbringt er an den Seen, beobachtet die Gänse, zählt sie und kennt ihre Nester. Im Sommer kann er dann genau sagen, wie viele Graugänse im Schutzgebiet gebrütet haben, wie viel Junge aus den Eiern geschlüpft und wie viel von ihnen groß und flugfähig geworden sind. Diese Angaben bekommen die Zentrale für Wasservogelforschung und die Naturschutzverwaltung. Sie werden dort mit den Beobachtungen der Laienforscher und Wissenschaftler aus anderen Schutzgebieten gesammelt und ausgewertet. So wissen wir über die Graugänse sehr gut Bescheid. Aber nicht nur die Entwicklung der Graugansbestände, sondern das Leben vieler Wasservogelarten wird an den Dambecker Seen und an anderen Gewässern genau beobachtet und erforscht.

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Lachmöwenkolonie mit Schwarzhalstauchern

 

Wenn die Graugänse auf ihren Nestern sitzen und brüten, kehren auch die Lachmöwen ins Naturschutzgebiet zurück. Sie nisten eng beieinander. Solch eine Lachmöwenkolonie ist eine richtige Vogelstadt, in der es vom ersten Morgengrauen bis in die tiefe Nacht hinein niemals still wird. Am lautesten spektakeln die Möwen, wenn eine Rohrweihe vorüberfliegt. Dann wirbeln sie wie ein Schneegestöber über den Inselchen, auf denen sie ihre Nester bauen. Oftmals nisten dort auch die Graugänse. Sie sitzen mit eingezogenen Köpfen unter der lärmenden Möwenwolke.

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Im April rufen die ersten Rothalstaucher im Schilf

 

Das alles kann Franz Höckendorff von seinen Beobachtungsplätzen aus verfolgen. Er hält bei seinen Gängen um die Seen Ausschau nach Pfeif- und Spießenten, die Rast vor dem Weiterzug machen, sieht die Balz der Schellerpel, die wie schwarz-weiße Schaukelpferde im Wasser um die schlichtfarbenen Weibchen werben, und er wartet von Wochenende zu Wochenende darauf, dass die ersten Rothalstaucher aus dem Schilf rufen. Sie kommen meist erst Ende März zurück. Diese Lappentaucher haben schöne, kastanienbraune Hälse, einen gelben Schnabel und silbergraue Wangen. Sie zeigen sich jedoch nicht so offen auf den freien Wasserflächen wie ihre größeren Verwandten, die Haubentaucher. Aber ihr lautes Brüllen und Quieken verrät sie. Und je weiter der Frühling vorankommt, desto größer wird das Vogelstimmenkonzert auf dem See. Im Mai schreien dann über dreißig Rothalstaucher zwischen Schilf und Rohrkolben. Dann sind auch die Schwarzhalstaucher schon zurückgekommen. Aber ihre Stimmen sind im Lärm der Vogelseen nicht zu vernehmen. Im Schutz der großen Möwenkolonien sind sie auch nur schwer zu entdecken.

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Mit viel Geschrei bauen die mohrenköpfigen Lachmöwen ihre Nester

 

Vor fünfzehn Jahren sah Franz Höckendorff die Schwarzhalstaucher zum ersten Mal. Seither sind sie seine Lieblingsvögel. Damals bauten die Lachmöwen auf den Bülten der Simsen ihre Nester im Flachwasser einer Bucht vor einem blühenden, honigduftenden Rapsfeld. Es war eine große Kolonie. Auf den Inseln des größeren Dambecker Sees gab es noch ein paar kleinere Lachmöwenkolonien. Die Vogelkundler und Naturschützer wollten wissen, wie viel Lachmöwen auf den Seen nisten. Sie zählten die Möwen, die auf den Nestern der Inseln saßen, durch ein großes Fernrohr. In der großen Kolonie am Rapsfeld war das Wasser sehr flach. Dort konnten Franz Höckendorff und seine Freunde vorsichtig durch die Möwenstadt waten und die Gelege zählen. Zwischen den Schilfnestern der schokoladenköpfigen Lachmöwen fanden sich merkwürdige, nasse Pflanzenhäufchen, schwimmende, zwischen Halmen verankerte Inseln. Von grünen und bräunlichen Wasserpflanzen bedeckt, lagen in diesen nassen Haufen schlanke, bräunlich weiße, zugespitzte Eier, eindeutig Tauchereier.

Franz Höckendorff wunderte sich. Auch seine Freunde staunten. Vogelkundler wissen, dass nur Schwarzhalstaucher gern mit den Lachmöwen zusammen nisten. Aber niemand hatte zuvor vermutet, dass diese Art hier im westlichen Mecklenburg vorkam. Auf Fischteichen im Süden unseres Landes waren sie bekannt, doch sie verschwanden auch dort immer mehr. Nun aber lagen einundzwanzig Tauchernester dicht beieinander in der Lachmöwenkolonie! Niemand mochte es glauben, dass hier die Schwarzhalstaucher nisten sollten.

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Schwarzhalstaucher sind prachtvoll gefärbte Vögel

 

Ein Tarnzelt wurde gebaut, mit Schilf verkleidet, und Franz Höckendorff setzte sich hinein. Seine Freunde gingen fort, und als sie hinter dem blühenden Raps verschwanden, senkte sich die Wolke der Lachmöwen schreiend über der Kolonie herab. Sie spektakelten so laut und schrill, dass dem Mann im Versteck die Ohren schmerzten. Dann landeten sie ohne Zögern auf ihren Nestern, wendeten die Eier und setzten sich zum Brüten. Rings um das Versteck sah Franz Höckendorff die Möwen auf ihren Nestern sitzen. Er fand sie sehr schön, und er fühlte sich wie im Märchen, denn er besaß eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte.

Die Tauchernester vor ihm aber blieben leer. Doch plötzlich tauchte ein schlanker Kopf auf dünnem Hals aus dem Wasser und verschwand, so schnell er gekommen war. Dann tauchte er wieder auf, ein zweiter, ein dritter, ein vierter und fünfter. Aus den Wassergräsern, die den See von der flachen Bucht trennten, schwamm eine ganze Flottille von Tauchern heran. Sehr rasch kamen sie zu ihren Nestern. Die Vögel waren nicht sehr groß, gerade so wie eine Faust, hatten kastanienfarbene Seiten, eine silberweiße Brust und darüber den samtschwarzen Hals. Ihr Kopf wirkte wie ein Dreieck, denn der schlanke Schnabel war ein wenig aufgeworfen und ihr Kopfgefieder abgespreizt. An den Kopfseiten aber trugen die Vögel goldene Federn, und davor leuchteten runde, rubinrote Augen! Nur drei Meter vor sich sah Franz Höckendorff die Schwarzhalstaucher, viel schöner, als jede Abbildung sie zeigen konnte. Sie schnellten sich aus dem Wasser auf ihre schwimmenden Nester. Da standen sie und rafften mit blitzschnellen Schnabelbewegungen die nassen Pflanzen von den Eiern herunter, ruckelten die Gelege mit dem Schnabel zurecht und ließen sich, breit und schaukelnd mit abgespreiztem Bauchgefieder darüber nieder. Das Versteck, in dem der Mensch saß, störte sie gar nicht. Aber plötzlich schwoll der Möwenlärm gellend an. Flügelschlagend und keifend stiegen die Lachmöwen auf, vereinten sich zu einer hassenden Wolke und fielen über eine Rohrweihe her, die vom blühenden Rapsfeld herangeflogen kam. Blitzschnell sprangen die Taucher von ihren Nestern, deckten ihre Eier mit nassen Pflanzen vom Nestrand zu, glitten schlangenartig ins Wasser und tauchten davon. Erst als die Möwen den Greifvögel vertrieben hatten, kamen sie zurück.

An diesem Tage sind die Schwarzhalstaucher die Lieblingsvögel von Franz Höckendorff geworden. Er sucht sie Jahr für Jahr. Aber er hat nicht immer Erfolg damit. In manchem Frühjahr bleiben sie fort, in anderen Jahren sind sie so zahlreich, dass alle Fachleute staunen. Dann kommen Vogelkundler aus anderen Bezirken oder sogar aus anderen Ländern, um sich zu überzeugen. In den letzten Jahren brüteten in den Lachmöwenkolonien auf den beiden Dambecker Seen über einhundert Schwarzhalstaucherpaare.

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Im Weidendickicht hat Franz Höckendorff einen Horst mit jungen Rohrweihen entdeckt

 

Aber selbst dann, wenn die schönen Taucher mit den Goldfedern und den Rubinaugen ausbleiben, sind die Dambecker Seen eine rechte Schatzkammer der Wasservogelwelt. Aus den Schilfwäldern ruft dumpf und weit hallend die Rohrdommel, der Moorochs. Graureiher machen im Seichtwasser Jagd auf Kleinfische, und auf den Wiesen und Koppeln am Ufer stechen die Störche aus Dambeck und Zickhusen, aus Meteln und Wendisch Rambow nach Fröschen und Mäusen. Über einhundertsechzig verschiedene Vogelarten haben die Vogelkundler als Brutvögel oder Gäste hier beobachtet. Dazu gehören die Kornweihen, die im Winter über den weiten Ackerfluren jagen, der schnittige Baumfalke, der im Mai Smaragdlibellen über dem Torflochweiher fängt, und auch sehr seltene Gäste aus fernen südlichen Ländern.

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Im Dorf Wendisch Rambow nisten die Weißstörche auf einem Dreibock, den die Vogelkundler gebaut haben

 

Im Mai 1978 kreiste ein Pelikan mit den Störchen von Wendisch Rambow um die Wette höher und höher über den Seen, und zwei Jahre zuvor war ein Flamingo zu Gast. Von der nahen Ostsee verfliegen sich häufiger Wasservögel in das Schutzgebiet, die eigentlich nicht hierher gehören. So balzen auf den Koppeln am See manchmal Brandgänse, und sie sind sogar in das Storchennest auf dem Dreibock geflogen, den Franz Höckendorff mit seinen Freunden in Wendisch Rambow gebaut hat. Brandgänse im Storchennest sehen sehr seltsam aus! Aber ehe der Storch zurückkam, waren sie von dort schon wieder verschwunden. Franz Höckendorff hat lange darüber geschmunzelt. Er weiß ja, dass Brandgänse gewöhnlich in Erdhöhlen nisten, in Kaninchenbauten oder verlassenen Fuchshöhlen. Und er freute sich, dass der Storch nicht gestört wurde, denn auch Störche sind ziemlich selten. Es gibt nicht mehr so viele Feuchtgebiete, in denen sie genug Nahrung für sich und ihre Jungen finden. An den Dambecker Seen leben jedoch noch viele Frösche, und aus dem warmen Flachwasser klingen im Mai und im Juni die hellen und tiefen Stimmen der Rotbauchunken. Im See und in den Feldsöllen, jenen kreisrunden Wasserlöchern, die vom Eis der letzten Kaltzeit in diesem Endmoränengebiet gebildet wurden, leben viele Hundert der rotbäuchigen Lurche. Ihre Stimmen wehen und weben einen märchenhaften auf und ab schwellenden Ton über das Land und die Seen, so als klängen die Glocken einer versunkenen Stadt aus dem Wasser herauf. Die Störche machen Jagd auf die heimlichen Rufer, und dennoch wird ihr Bestand nicht geringer. Nur dort, wo Wiesen und Gewässer trockengelegt sind, verschwinden Frösche und Unken. Dann ziehen auch die Störche fort.

Wer aber glaubt, die Seen zwischen den Feldern seien ein Stück unberührter Natur, der irrt. Das Schutzgebiet ist das Werk der Menschen, und der Reichtum an vielen Vogelarten steht in engem Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Menschen haben das Gesicht dieser Landschaft geschaffen. Ohne sie wären die flachen Hügelzüge und die große Beckenschüssel, in der sich auf einer dicken Tonschicht das Wasser zu den beiden Seen gesammelt hat, von dichtem Wald bestanden. Dann hätten die Graugänse keine Äsungsflächen, und die Lachmöwen würden nicht nisten, weil es keine Felder und Wiesen gäbe, auf denen sie nach Würmern und Insekten suchen könnten. Die Seen wären Waldseen, die langsam vermooren und vertorfen würden. Tier- und Pflanzenwelt sähen völlig anders aus.

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Geheimnisvolle Rufer —die Rotbauchunken