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Brigitte Rabeler

Stolperjahre

ISBN 978-3-95655-326-4 (E-Book)

ISBN 978-3-95655-325-7 (Buch)

 

Illustrator: Jutta Bening

 

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Felix und der Fischeangler

1. Kapitel

Es war einmal ein Junge. Ja, mit „es war einmal“, so fangen fast alle Märchen an. Aber dieses ist kein Märchen. Es geschah erst vor Kurzem und ganz in deiner Nähe in einem kleinen Städtchen am Rande eines großen Fußballfeldes.

 

Also, noch einmal. Es war einmal ein Junge, der hieß Felix, Felix Kuhlbaum.

An einem warmen Herbsttag saßen also der fünfjährige Felix und sein Opa Kurt auf dem Steg am See und ließen die Beine baumeln. Felix‘ Beine waren noch zu kurz, um in das kühle Nass einzutauchen. Darum spritzte Opa Kurt mit seinen großen Füßen dem Kleinen das Wasser auf die Beine. Das fand Felix spaßig und er jauchzte vor Vergnügen.

Felix war gern bei Opa Kurt. Er konnte herrliche Seemannsgeschichten erzählen, aber auf großer Fahrt war er noch nie gewesen. Vor allem aber konnte er Fische fangen, denn er war Fischer.

Bei Opa Kurt war es stets interessant. Überall gab es was zu entdecken oder zu beobachten. Und wenn Opa mal keine Zeit hatte, spielte er mit der vierjährigen Daysi, der schwarz-braun gefärbten Schäferhündin.

Leider konnte Felix immer nur zum Opa, wenn dieser Zeit für ihn hatte. Das aber kam drei- bis viermal im Jahr vor. Ein altes Bauernhaus mit Scheune, das Opa Kurt von seinen Eltern geerbt hatte, ein kleiner Garten, und was das Beste war, ein Motorboot nannte er sein eigen. Zwar war das Boot nur ein Ruderkahn mit Außenbordmotor. Das aber war Felix vollkommen schnuppe. Viel zu gern fuhr er mit Opa Kurt an den Schilfgürtel, wo sie gemeinsam die Angeln auswarfen.

In die Scheune und in den Schuppen durfte Felix nicht alleine gehen. Opa Kurt ermahnte ihn immer wieder, dass es zu gefährlich sei, da dort allerlei scharfes Werkzeug aufbewahrt wurde.

Beim letzten Besuch hatten sie im Stroh ein Kätzchen entdeckt, das ihre Jungen gerade geworfen hatte. Felix war jeden Tag hingegangen, hatte sich in eine Ecke gesetzt, die Opa ihm zugewiesen hatte und die Kätzchen beobachtet.

Diesen Herbst wollte Opa Kurt ihm zeigen, wie man ein kleines Segelboot bauen kann. Auch wollte er mit Felix Drachen steigen lassen. Darauf freute sich Felix schon sehr.

Eigentlich war er ganz froh, als Opa Kurt anrief und sagte, dass er einige Tage zu Hause wäre und Felix zu ihm kommen könnte. Es waren doch Herbstferien, und der Hort, wie auch der Kindergarten, blieben für eine Woche geschlossen. Beide waren unter einem Dach, weil sonst die größeren schulpflichtigen Kinder nach der Schule ein Dorf weiter fahren müssten, um betreut zu werden. Außerdem hatte er keine Lust, mit den anderen draußen zu spielen. Sie hatten ihn mal wieder geärgert. Sein kleiner runder Bauch war oft genug Anlass zu Spötteleien. Er naschte ja auch viel zu gerne. Und besonders Kühlschränke hatten es ihm angetan. In ihm waren oft so wunderbare Speisen zu sehen, dass er immer etwas herausnahm und in den Mund steckte.

Dieses Mal war es aber etwas anderes. Als seine Horterzieherin Frau Speck am letzten Tag vor den Ferien alle Kinder fragte, wo sie in den Ferien bleiben werden, hatte Felix geantwortet, dass er wieder zu Opa Kurt fährt. Sein Opa war erst 49 Jahre und ein sehr gut aussehender Mann mit einem kleinen Schnauzer.

Einmal hatte er Felix vom Kindergarten abgeholt und mit der Erzieherin geflirtet. Das hatten natürlich die größeren Kinder mitbekommen. Seitdem lästerten sie, wenn Felix zum Opa fuhr. Sie meinten, Felix wäre seine Ersatzfreundin oder auch Lückenbüßer. Felix konnte zwar nicht viel mit den versteckten Anspielungen anfangen, war aber immer sehr verletzt.

Als Frau Speck noch wissen wollte, was denn sein Opa für einen Beruf ausübte, rief Heiner, ein Junge aus der dritten Klasse: „Der angelt Weiber!“ Felix, der seinen Opa natürlich sofort verteidigen wollte, verbesserte ihn und sagte: „Nee, Opa angelt keine Weiber, der ist Fischeangler!“ Alle fingen an zu lachen. Auch die kleine Jana, die sonst immer zu ihm hielt, grinste. Nun nannten sie Felix‘ Opa nur noch den Fischeangler. Sogar seine Mutter, der er seine Schmach abends mitteilte, lachte. Ihr Lachen war aber nicht so verletzend wie das der Kinder. Sie strich ihm über seinen dunklen Haarschopf und sagte: „Dann bringen wir dich eben zum Fischeangler.“ Jetzt hatte Opa Kurt seinen Spitznamen weg.

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2. Kapitel

Doch nun dachte Felix nicht mehr an den Freitag. Er freute sich aufs Basteln, denn das war seine Leidenschaft.

„Opa, wann bauen wir das Segelboot? Du hast doch gesagt, dieses Mal wird es etwas.“ Opa Kurt holte noch einmal kräftig mit den Füßen aus und spritzte Felix bis zum Hals nass. Vor Schreck wäre er beinahe vom Steg abgerutscht und ins Wasser gefallen. Opa Kurt konnte ihn gerade noch so am Arm festhalten.

„Immer langsam mit den wilden Pferden“, sagte er „Jetzt werden wir beide erst einmal die Angelruten zücken, sonst gibt es heute Abend nichts zu essen. Lauf und hol den kleinen Spaten aus dem Stall. Die Würmer langweilen sich auch schon in der Erde.“ Felix lachte und war im Nu auf den Beinen. Denn er wusste, wo Spaten und Würmerdose standen. Schnell zog er seine Gummistiefel an und trabte davon.

Nach einigen Minuten winkte er Opa Kurt zu. „Komm schnell, Opa, hab alles beisammen. Suchen wir die Würmer im Wald oder vom Misthaufen im Garten?“ Felix rannte schon vor. Mit Opa Kurt angeln machte unheimlich viel Spaß. Felix hatte seine eigene Angel, und den Wurm auf den Haken ziehen konnte er schon lange. Manches Mal gingen sie auch senken, um kleine Fische als Köder zu bekommen. Das war immer eine spannende Angelegenheit. Erstens musste er ganz leise sein, um keine Fische zu verscheuchen und zweitens war es gar nicht so einfach, die Fische von der Senke zu fischen. Sie sprangen Felix immer aus den Händen. Opa Kurt tat dann ganz böse, musste aber lachen, wenn er sah, mit welch ernster Miene Felix seiner Aufgabe nachging.

3. Kapitel

Nun aber gingen sie erst einmal Würmer suchen. Im Misthaufen im Garten gab es genug. Schnell hatten sie ihre Würmerdose voll. Dann nahmen Onkel Kurt und Felix die Angeln und den Anglerkasten und wanderten runter zum Steg. Mit dem Boot waren sie in zehn Minuten am Schilfgürtel, ihrer Lieblingsangelstelle. Und nun wurden erst einmal die Angelruten auf Vordermann gebracht, ein Wurm auf den Haken gezogen und ins Wasser gehängt. Jetzt war erst einmal Ruhe. Das Schilf wiegte sich leicht im Wind und auf dem Wasser waren kleine gekräuselte Wellen zu sehen. Eine Rohrdommel hüpfte im Schilf umher und zwei Blesshühner tauchten immer wieder im Wasser unter. Es war eine friedliche Stille.

Plötzlich ging die Pose von Felix Angel unter. Ganz nervös flüsterte er Opa Kurt zu: „Da hat einer angebissen. Ich glaube, das ist ein ganz großer.“ Opa Kurt setzte sich neben Felix. „Ganz ruhig, gib ihm noch ein wenig Schnur. So ist gut, aber halte die Spitze der Angel tiefer, sonst brichst du sie schnell ab, wenn ein großer dran ist.“ Beide beobachteten die Bewegung der Pose. „Opa, hol den Kescher, ich hole ihn jetzt raus.“ Opa griente und ging den Kescher holen.

„Jetzt schnell!“, rief Felix und zog die Angel an. Opa Kurt hielt den Kescher unter den Barsch, der gerade mal 15 cm lang war. „Und was für ein Brocken! Der besteht ja nicht einmal den Gabeltest.“ Opa Kurt lachte. Erst war Felix mächtig enttäuscht, hatte er doch das Gefühl, da wäre ein ganz großer Fisch an der Angel, doch dann lachte auch er. „Den bekommt die Katze. Das ist ja erst der Anfang. Wir angeln doch noch ein Weilchen, ja?“ Ruhig setzte er sich wieder auf die Bank und zog einen neuen Wurm auf den Haken. Opa hatte inzwischen seinen großen Fang in den Wassereimer geworfen.

„Hab ich dir eigentlich schon erzählt, wie mich ein Haifisch verschluckt hatte?“

Opa Kurt grinste und sah Felix fragend an. „Nee, Opa, noch nicht.“ Felix rückte noch dichter an Opa Kurt. „Na, dann hör man good tau, min Jung.“ Und so erzählte Opa Kurt sein Seemannsgarn. Felix war es egal, ob die Geschichten wahr waren oder nicht. Opa Kurt konnte unheimlich spannend erzählen, so dass Felix kein Wort verpassen wollte.

4. Kapitel

Langsam neigte sich der Tag dem Ende zu. Opa Kurt hatte seinen Räucherofen in Gang gesetzt und die gefangenen Fische hingen fein säuberlich aufgereiht im Rauch.

Felix hatte es sich in der Nähe des Ofens gemütlich gemacht, bis Opa die Fische wieder aus dem Rauch holte. Dann aßen sie mit großem Appetit ihren eigenen Fang. „Morgen, Junge, werde ich dir zeigen, wie man ganz einfach ein kleines Segelboot bauen kann. Wenn genug Wind ist, können wir auch noch den Drachen fliegen lassen. Oder wollen wir uns einen selber bauen, wie ich es als Kind gemacht habe, mit einem langen Schwanz aus Krepppapier?“

„Oh ja, Opa, das wäre cool. Du weißt doch, wie gerne ich alles selber basteln möchte. Wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich meinen Freunden zeigen, wie man einen Drachen baut. Mutti sagt, im Geschäft sind die Drachen ganz schön teuer.“

So erzählten sie sich noch einige Zeit lang ihre Erlebnisse. Jetzt im Herbst waren die Tage kürzer, und sie mussten sich sputen, alles vor Einbruch der Dunkelheit wieder an Ort und Stelle zu bringen. Opa drängelte: „Na komm, mein Junge, morgen ist auch noch ein Tag.“

5. Kapitel

Am nächsten Tag war Felix schon früh auf den Beinen. Er konnte es kaum abwarten, mit Opa Kurt in den Schuppen zu gehen. Was da alles stand! Leise schlich er sich aus dem Haus. Daysi, die Felix bemerkte und sofort anfing, ihm die Hand zu lecken, begleitete ihn bis zum Schuppen. Sie durfte auch nicht hinein.

Opa Kurt hatte Felix zwar alles gezeigt, was er so im Schuppen hatte, anfassen durfte er aber das Werkzeug nicht. „Das ist noch zu gefährlich für dich“, hatte er gemeint. Dabei fühlte Felix sich doch schon mächtig groß.

Felix wollte Opa zeigen, dass er gar nicht mehr so dumm ist und wollte das Werkzeug für den Bau des Bootes schon zurechtlegen. Er wusste ja, was benötigt wurde. Sie brauchten ein großes rundes Stück Holz, ein Messer zum Schnitzen, einen Bohrer, um in den Rumpf des Bootes ein Loch für den Mast zu bohren, Stoff für das Segel, einen kleinen Stock für den Mast sowie Garn, Farbe und Klebstoff. Felix sah sich um.

Opa Kurt hatte an der einen Wand im Schuppen einen Holzstapel stehen. Felix besah sich die einzelnen Kloben. Dann bemerkte er ein Stück Holz, das ihm zusagte. „Ja, daraus lässt sich ein Boot schnitzen“, sprach er vor sich hin. Er versuchte, das ausgewählte Stück aus dem Stapel zu ziehen. Es ging nicht, das Holz war eingekeilt. Was machen? Wieder sah sich Felix um. Aufgeben, das tat er eigentlich nie. So sann er auch jetzt nach einer Lösung.