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Dietmar Beetz

Der Schakal im Feigenbaum

Und andere Märchen aus Guinea-Bissau

ISBN 978-3-95655-171-0 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1977 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Wie der Hase das Flusspferd begrub

Eines Tages seufzte das Flusspferd, laut und so traurig, dass alle Tiere ringsum verstummten.

»Nanu?«, fragte der Elefant. »Fehlt dir was?«

Und der Hase, der mit einem Satz vom Ufer weggesprungen war, stellte die Löffel steil und rief aus einiger Entfernung: »Frechheit, einen dermaßen zu erschrecken!«

»Ach«, begann das Flusspferd, »ich bin ja so betrübt. Werde alt und sterbe bald, und niemand wird mich begraben.«

Der Elefant ließ den Rüssel hängen und nickte bekümmert.

Derweil schwang sich der Affe zum nächsten Baum hinüber, um seinen Vettern und Basen zu verkünden, das Flusspferd werde alt und sterbe bald und keiner könne diesen Fleischberg unter die Erde bringen.

»Wie wär’s, wenn ich die Sache regeln würde?«, erkundigte sich zähnefletschend die Hyäne.

»Du?«, fragte das Flusspferd entsetzt. »Nein, nie! Ich will begraben werden, nicht gefressen!«

Auch der Elefant schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist nichts für dich, Hyäne. Wer aber soll diese schwierige Aufgabe bewältigen?«

»Ich!«, rief der Hase, der inzwischen zum Ufer gehoppelt war.

Der Elefant bewegte die großen Ohren, als traue er ihnen nicht, und das Flusspferd erhob sich auf die kurzen, stämmigen Beine, musterte den Hasen und fragte ungläubig: »Du? Du Wicht willst mich begraben?«

»Jawohl, ich werde dich begraben«, erwiderte der Hase, während er, die Brust herausgedrückt, sich auf den Hinterläufen reckte.

Da lachten alle Tiere im Umkreis los: die Hyäne kichernd, der Elefant trompetend, das Flusspferd schnaufend.

Am lautesten gebärdeten sich die Affen, und sie riefen ein ums andere Mal: »Hört, hört! Der Hase, dieser Wicht, will das gewaltige Flusspferd begraben!«

»Lacht nur!«, versetzte der Hase, nachdem der Lärm verebbt war. »Ihr werdet schon sehen ...«

Gut, dachte das Flusspferd, und es kniff die kleinen Augen listig zusammen. Tage später, bereits am frühen Morgen, klopfte der Affe an die Hütte des Hasen.

»Komm mit! Das Flusspferd ist tot.«

Sofort erhob sich der Hase vom Frühstückstisch und verabschiedete sich von seiner Frau und seinem Sohn.

Und dann erblickte er das Flusspferd. Ausgestreckt lag es am Ufer im Schlamm. Nur der breite Schädel mit den winzigen Ohren und den geschlossenen Augen schaute aus dem Wasser.

Daneben stand der Elefant wie ein Totenwächter. Er blinzelte und sagte mit gedämpfter Stimme: »Nun ist also unser armer Freund verstorben.«

Sogleich fing die Hyäne, die am Ufer hockte, zu heulen an, und oben in den Bäumen stimmten der Affe und seine Verwandten kreischend in das Gejammer ein.

Wortlos machte sich der Hase an die Arbeit. Er scharrte mit den Hinterläufen das vermoderte Laub beiseite, bis er auf die rostbraune, steinige Erde stieß. Bevor er weiterkratzen konnte, erschien unvermittelt sein Sohn.

»Vater«, raunte er. »Rasch, komm nach Hause! Wir haben Besuch.«

»Entschuldigt bitte!«, sagte der Hase zu den Tieren. »Bin gleich wieder da.« Unverzüglich rannte er los.

Erst gegen Mittag kehrte er zum Fluss zurück, unbekümmert, munter wie am Morgen.

»Endlich!«, stieß der Elefant hervor.

»Faulpelz!«, zischte die Hyäne durch die gefletschten Zähne, und auch die Affen schimpften empört.

Nur das Flusspferd lag still im Wasser. Über seinen winzigen Ohren flimmerte die Luft vor Hitze. Die Sonne brannte unbarmherzig auf die Tiere herab.

Während sich die Hyäne gähnend am Ufer ausstreckte, befahl der Elefant verdrossen: »Kratz weiter!«

Erneut begann der Hase mit den Hinterläufen zu scharren, und wiederum erschien nach kurzer Zeit sein Sohn, und abermals rannten die beiden Hasen davon; sie verschwanden im Busch, bevor die dösenden Tiere begriffen, was da geschah.

Um so erzürnter empfingen sie den Hasen, als er gegen Abend zum dritten Mal am Ufer eintraf, nun offensichtlich tief besorgt. Der Elefant, die Hyäne, der Affe und seine Vettern und Basen - sie alle schimpften und schrien, bis ihnen die Luft ausging.

Und der Hase?

Der saß in ihrer Mitte, geduckt, die langen Ohren angelegt. Erst als die Vorwürfe verstummten, hob er den Kopf, blickte über das Wasser und sagte seufzend: »Ach, wenn ihr wüsstet ...«

»Sprich! Was ist los?«, schrien alle durcheinander.

»Ach, diese Gefahr!«, erwiderte der Hase.

»Gefahr? Was für eine Gefahr?«

»Ach, dieses Unheil, das euch droht!«

»Wem droht Unheil?«

»Euch allen, nur dem Flusspferd nicht. Das ist zum Glück schon tot. Ihr aber ...«

»So sprich doch endlich!«

»Jäger sind gekommen, Flusspferde zu schießen, Elefanten und ...«

Weiter kam der Hase nicht.

Ein Aufklatschen, ein Lostrampeln, ein Heulen und oben in den Bäumen vielstimmiges Geschrei ...

Danach war es still ringsum.

Und da lachte der Hase auf, lachte schadenfroh und laut, lachte, bis draußen, mitten im Fluss, zwei winzige Ohren aus dem Wasser tauchten, danach ein breiter Schädel mit neugierig aufgerissenen Augen.

»He, du!«, rief der Hase, dass es über das Wasser schallte. »Schick nach mir, wenn du mal wieder tot bist! Damit ich dich begraben kann.«

Wie bei einer Missetat ertappt, schnappte das Flusspferd nach Luft und tauchte abermals unter. Die Lust auf solche Scherze war ihm vergangen.

Hase und Schakal als Reusenfischer

Eines Tages gingen der Hase und der Schakal gemeinsam auf Fischfang. Im flachen Wasser der Meeresbucht errichteten sie ihre Reusen. Dann ruderten sie einträchtig zum Ufer zurück und verbrachten die Nacht voller Hoffnung und Ungeduld. Schon früh am Morgen eilten sie erneut zur Bucht.

Wie groß war ihre Überraschung, als sie die Reusen leerten! Der Schakal hatte Fische gefangen, einer so prächtig wie der andere, der Hase hingegen Frösche, lauter quakende Frösche.

»Macht nichts«, versuchte der Schakal ihn zu trösten. »Vielleicht hast du morgen Glück.«

Doch tags darauf holten sie das gleiche aus den Reusen: der Hase wiederum nur Frösche, der Schakal abermals Fische. Auch heute verschlang er sie allein, und — damit nicht genug! — er verhöhnte noch den Freund. Da beschloss der Hase, sich künftig schadlos zu halten.

In der Nacht schlich er ans Ufer, ruderte zu den Reusen und vertauschte den Fang.

Gab das am nächsten Morgen ein Geschrei, als der Schakal in seiner Reuse die Frösche sah!

»Hast Pech gehabt!«, sagte der Hase. »Das Glück ist eben launisch ...«

Seltsames Glück, dachte der Schakal, und er sann auf eine List.

Den ganzen Tag verbrachte er damit, aus einem Kautschukbaum eine Figur zu schnitzen. Als es dämmerte, schlich er zur Bucht und befestigte das Kunstwerk an seiner Reuse. Dort ragte es nun in der Dunkelheit aus dem Wasser wie ein stummer Wächter.

Stunden später sah der Hase, der erneut den Fang vertauschen wollte, plötzlich vor sich eine drohende Gestalt. Vor Schreck tat sein Herz einen Sprung, doch dann gab er sich einen Ruck und rief: »He, du! Was suchst du bei der Reuse meines Freundes? Mach, dass du wegkommst!«

Aber der Wächter rührte sich nicht vom Fleck. Da versetzte der Hase ihm — klatsch! — einen Hieb.

Doch was geschah?

Seine Pfote war wie angeleimt. Als er entsetzt noch mit der anderen zuschlug, klebte auch sie an dem harzigen Holz, und je heftiger er zerrte und riss und mit den Läufen strampelte und stieß, desto fester hielt ihn die Figur gefangen.

So fand ihn am Morgen der Schakal.

»Also doch!«, rief er frohlockend. »Wart nur, du Räuber! Jetzt bring ich dich zur Stadt und verkaufe dich.«

Und er löste den Hasen von dem klebrigen Holz, steckte ihn in einen Sack und ruderte über die Bucht.

Unterwegs begann der gefangene Hase zu singen.

»Schweig!«, rief der Schakal.

Doch der Hase im Sack sang unverdrossen weiter, immer wieder dasselbe Lied: »Schöne verkehrte Welt! Der Herr muss rudern, und der Knecht ruht sich aus. Schöne verkehrte Welt!«

Recht hat er, dachte der Schakal, und er befahl: »Los, lass uns tauschen!«

»Meinetwegen«, erwiderte der Hase.

»Aber nur bis zum Stadtrand!«, bestimmte der Schakal, bevor er in den Sack kroch.

»Einverstanden«, sagte der Hase, und er schnürte rasch zu und ergriff die Ruder.

Als er das andere Ufer erreichte, rief er: »Platz da! Ich habe den Schakal gefangen. Wer will ihn kaufen?«

»Verrat!«, schrie es aus dem Sack. Doch weder Klagen noch Bitten halfen dem Schakal. Der Hase hatte ihn überlistet.

Diebe in der Schlangenhöhle

Einst herrschte in Wald und Savanne eine Hungersnot. Fast alle Tiere mussten darben. Entmutigt von der meist erfolglosen Jagd, schleppten sie sich durch den Busch. Nur der Hase, seine Frau und seine Kinder waren wohlgenährt. Das wunderte den Schakal. Neugierig und neidisch, wie er war, sann er auf eine List.

So erschien eines Tages sein Sohn in der Hütte des Hasen und bat: »Gevatter, komm und hilf meinem Vater! Er leidet an heftigem Zahnweh.«

Arglos folgte ihm der Hase. Schon bald vernahm er lautes Gejammer, und dann erblickte er Vater Schakal — ein Bild zum Erbarmen: Zusammengekrümmt hockte er neben dem schwelenden Feuer; den Schädel hatte er mit einem dicken Schal umwickelt, und wehklagend presste er die rechte Pfote an die Schnauze.

»Ach, Gevatter, diese Schmerzen! Hilf mir, sei so gut, erlöse mich von dieser Qual!«

Mitfühlend fragte der Hase: »Wo tut’s denn weh?«

»Hier, lieber Freund, hier hinten. Vielleicht kannst du den Zahn mit deinem Pfötchen rausziehen ...«

Doch als der Hase in den aufgesperrten Rachen langte, schnappte der Schakal zu und hielt die Pfote mit den Zähnen fest.

»Los!«, stieß er hervor. »Verrate mir, woher du was zu fressen kriegst!«

»Ach, lieber Nachbar, wir darben doch wie alle andern!«

»Lüg nicht! Sprich! Oder soll ich ein bisschen nachhelfen?«

»Erbarmen! Lass los!«

Und so gestand der Hase, dass er eine Schlangenhöhle kenne. Dort versorge er sich und die Seinen täglich mit frischen Schlangeneiern.

»Auf!«, rief der Schakal. »Plündern wir die Höhle!«

»Gedulde dich!«, bat der Hase. »Bald wird es Nacht, und die Schlange verlässt ihr Nest erst, wenn es wieder hell ist. Vorher können wir nichts holen.«