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Meine Irrungen, Wirrungen


Meine Irrungen, Wirrungen


1. Auflage

von: Gisela Heller

10,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 06.08.2020
ISBN/EAN: 9783965210240
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 660

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Auf eine Reise durch ihr langes und bewegtes Leben lädt die Journalistin, Schriftstellerin und Fontane-Expertin Gisela Heller die Leser mit ihren Erinnerungen ein. Ausführlich, detailreich und lebendig beschreibt die Autorin ihren nicht immer leichten Weg von der Flucht aus ihrer schlesischen Heimat und ihren beruflichen Anfängen in der frühen DDR über ihre journalistische Arbeit für Hörfunk und Fernsehen bis zur näheren Beschäftigung mit einem berühmten Kollegen, der ihr zum hauptsächlichen Arbeitsinhalt und Stützpfeiler für ihr Leben werden sollte – Theodor Fontane. „Kein Schriftsteller ist mir so nah wie Theodor Fontane“, bekennt die Autorin und entdeckt, je mehr und je intensiver sie sich mit ihm beschäftigt, viele Parallelen in ihrer beiden Lebensbögen. „Ich habe ihn mir nicht ausgesucht; er ist mir zugewachsen mit der Zeit.“
Das Buch bietet zudem spannende Inneneinsichten aus der Welt der Medien und Kultur der DDR, der Wende und Nachwendezeit bis zur Gegenwart und präsentiert eine Reihe von Porträts von Politikern, Journalisten- und Künstlerkollegen. Zugleich spart der umfangreiche Text familiäre Freuden und Schwierigkeiten nicht aus und zeigt, wie es der Autorin immer wieder gelang und gelingt, teils schwere Krankheiten, Krisen und Konflikte zu überstehen und sich eine positive Lebenseinstellung zurückzuerobern.
Die berührende Autobiografie schließt mit den Worten: „Die Zeit der großen, unerfüllbaren Wünsche ist vorbei; nur einer blieb: Möge ein versonnenes Lächeln das Gesicht derer verklären, die an mich denken … C’est ça …“
Die knapp 700 Seiten umfassenden Memoiren der Journalistin, Schriftstellerin und Fontane-Expertin Gisela Heller erscheinen zum 91. Geburtstag der Autorin.
Geboren am 6. August 1929 in Breslau, hat lange für den Rundfunk gearbeitet und sich mit zahlreichen Veröffentlichungen über Potsdam und Brandenburg einen Namen gemacht.
Bibliografie (Auszug)
Märkischer Bilderbogen, Berlin 1976
Das Havelland mit den Augen der Liebe gesehen, Leipzig 1981
Potsdamer Geschichten, Berlin 1984, neu bearbeitet, Berlin 1993
Neuer Märkischer Bilderbogen, Berlin 1986
Unterwegs mit Fontane von der Ostsee bis zur Donau, Berlin 1995
Geliebter Herzensmann, Berlin 1998
Mit Glück ins Leben. Schlesische Kindheit, sächsische Jugend, Würzburg 2007
Mitternacht rückte näher und ich erzählte noch immer; wie Sheherazade getrieben von der Angst: Wenn ich aufhöre, bin ich verloren. Ich wollte die Frage hinausschieben, die meinen Eltern auf den Nägeln brannte: Was ist passiert in all den Wochen, was hat dich so aus der Balance gebracht? Eine allzu berechtigte Frage, die ich nicht beantworten durfte. Ich hatte es unterschrieben. Ich fühlte, wie die Spannung sich immer stärker aufbaute wie das Grummeln eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch und ergriff plötzlich Mamas Hand, presste sie an meine heiße Stirn und begann zu weinen. Solche Gefühlsausbrüche waren in unserer Familie tabu, jedenfalls hatte ich dergleichen nie erlebt. Wir waren hilflos. Alle drei. Papa begriff als erster die Lage: „Ich habe auch einmal unterschrieben zu schweigen“, sagte er, „am 30.März 1933. Man hat uns, die wir nicht laut genug Heil! schrien, für ein paar Wochen eingesperrt, verprügelt und gedroht, das nächste Mal würden wir nicht mehr so billig davonkommen.“ Das Geständnis verblüffte mich. Er hatte wirklich geschwiegen, selbst als Hitler längst tot und nichts mehr zu befürchten war. Ich würde das nicht schaffen. Ich musste reden, wenigstens zu den allernächsten Lieben. „Die Katholiken haben nicht umsonst den Beichtstuhl erfunden“, meinte er, „als Schuljunge in Glatz hab ich beobachtet, wie bedrückt da mancher hineinging – und wie aufrecht und erleichtert wieder heraus …“ Ich kannte keine Katholiken, aber das mit dem Beichten leuchtete mir ein. Vater hatte mir eine Goldene Brücke gebaut. Es brachen alle angstvoll aufgetürmten Dämme und der Redefluss spülte Angst und Bedrängnis von meinem Herzen.
Sie ahnten, dass alles mit Siegi zusammenhing, dem Schönen, dem Romantiker, dem die Damen aller Jahrgänge und auch gewisse Männer begehrlich nachschauten, der Heinrich Heines „Buch der Lieder“ auswendig kannte, selber Gedichte schrieb und in einem Kraftakt die Ostersendung des „Filmspiegels“ rettete, als dessen Leiter drei Tage zuvor nach dem Westen abgehauen war. Das hatte Siegis Stellenwert beim MDR ungemein gehoben.
Er war ein Schwärmer, – und wiederum auch nicht. Ich wollte es nicht wahrhaben, als Vater damals meinen verliebten Höhenflug mit einem einzigen Satz dämpfte: „Der ist zu schön, um wahr zu sein.“ „Unverbesserliche Unke!“, dachte ich damals. Mein Adonis ging in einer Zeit, da „Aus-zwei-Alten-mach-ein-Neues“ Mode war, stets comme il faut gekleidet mit Anzug, Hemd, Krawatte und blanken Schuhen. Ich erfreute mich daran und fragte nicht nach dem Woher. Als wir uns näher kannten und unter einem Dache wohnten, nahm er mich manchmal mit in Gesellschaften, die mir wie fremde Welten erschienen. So wurden wir bei einer uralten adligen Russin eingeladen, wo man die Geister der Toten beschwor. Ein andermal bei einem Globetrotter, der im Kriege in Tokio lebte und von dem man nicht wusste, für welche Seite er spionierte.
(Spätestens bei dieser Geschichte bemerkte ich das unruhige Flackern in Mamas Augen. Ihr war das Ganze höchst unheimlich und ich verzichtete darauf, von der selbst mir abenteuerlich und bizarr erschienenen Reise nach Westberlin zu erzählen.)
Von Ost nach West zu kommen, war damals noch kein Problem, obwohl der Kalte Krieg wieder mal auf einem Höhepunkt stand. Die Russen hatten auf Provokationen der westlichen Alliierten reagiert und im Sommer 1948 kurzerhand Westberlin als Faustpfand abgeriegelt. Das traf 1,2 Millionen Westberliner hart, weil alles Lebensnotwendige eingeflogen werden musste. Eine kolossale logistische Leistung, die uns in Leipzig allerdings kaum beeindruckte. Bei uns hieß es: Erst haben sie Phosphor- und Brandbomben auf die Stadt regnen lassen, warum nicht mal zur Abwechslung Rosinen. Wir sahen darin durchaus keinen Akt reiner Menschenliebe. Westberlin war für uns lediglich „das Dorado der Geheimdienste aller Länder“, der „Pfahl im Fleische des kommunistischen Lagers“. Mir wollte nicht einleuchten, warum Siegi ausgerechnet dorthin fahren wollte, doch er behauptete, es wäre für ihn lebenswichtig. Er sei vor einiger Zeit mit einer Dame in Thüringen einen Vertrag eingegangen, den er für seinen Teil erfüllt habe und den er jetzt auflösen wolle. Mein erster Gedanke war: Eifersucht: Was für eine ominöse Dame? Was für ein Vertrag? Er wich aus. Es wäre rein geschäftlich und die Tatsache, dass er mich mitnähme, beweise doch, dass es keinen Grund zu Eifersucht gebe.
Es dunkelte schon, als wir die spärlich beleuchtete einstige Prachtstraße erreichten. Die ehemals glanzvolle Bummelmeile glich einem Gebiss mit vielen fehlenden und faulenden Zähnen. Allerdings wurde unser Blick abgelenkt von den Auslagen zahlreicher Läden und Lädchen, die sich nach der Währungsreform innerhalb weniger Wochen etabliert hatten. Dazwischen, in den brandigen Lücken, behaupteten sich kühn-optimistische Budenbesitzer mit allerlei Krimskram. Ich hatte mir Westberlin so gut wie ausgestorben vorgestellt, doch es wuselte wie in einem Ameisenhaufen. Jeder war auf der Suche nach etwas Essbarem, das er, sobald Strom da war, in den Kochtopf werfen konnte. Viele hatten sich auf ihre Kanonenöfen aus Kriegszeiten besonnen, die fraßen unglaublich viel Holz. Tiergarten und Grunewald waren demzufolge wie leergefegt. Siegis Adresse in einer der ehemals vornehmen Seitenstraßen des Kurfürstendamms schien von Bomben verschont geblieben. Äußerlich wenigstens. Doch ein Blindgänger hatte die gläserne Kuppel des feudalen Treppenhauses durchschlagen und war im Keller steckengeblieben. Im Funzellicht einer Karbidlampe tasteten wir uns nach oben. Das Geländer rechter Hand fehlte, nur der Rest einer dicken, roten Kordel baumelte, dahinter gähnte, zwei Stockwerke tief, der Abgrund. Die Dame bewohnte die Beletage. Mit dem Schritt über die Türschwelle waren wir plötzlich in einem ganz anderen Film: UFA-Film mit exotischem Touch.
Überall Kerzen, die flackerndes Licht und betörenden Duft verbreiteten; überall Sitzpolster aus Samt oder Leder. Auf eine Recamiere hingestreckt, ruhte die Dame des Hauses. Sie schien pikiert, weil Siegi nicht allein gekommen war, überspielte das aber, bot uns allerlei Knabbereien und Ceylon-Tee aus einer Thermoskanne an, entschuldigte sich für die ‚Stilwidrigkeit‘, aber „was soll man machen in diesen Zeiten …“ Die Konversation schlich mühsam dahin, ich spürte, dass ich störte, schützte Müdigkeit vor und wurde erleichtert in die Dienstbotenkoje abgeschoben. In der Nacht erfasste mich ein menschliches Rühren. Wo in dieser riesigen Wohnung mochte die Toilette sein? Im Dunkeln tastete ich mich durch den Flur. Hinter einer Tür vernahm ich Musik und gedämpfte Stimmen, öffnete einen winzigen Spalt. Betäubende Düfte schlugen mir entgegen und ich blickte – in eine Märchenszene aus Tausendundeiner Nacht! Die Herrin räkelte sich auf einem ausladend-einladenden Lotterbett (so stellte ich mir die Königin von Saba vor!), kitzelte mit ihrem Fächer gnädig den Nacken eines Sklaven, der sich über ihr zierliches Füßchen beugte. Daneben zwei weitere bemühte Herren in buntseidenen Morgenröcken; und Siegi, mein Siegi!, bot ihr gerade aus goldenem Etui eine lange, schmale Zigarette an. Ich hätte das lächerlich gefunden, wäre nur Siegi nicht dabei gewesen … Unbemerkt zog ich mich in meine Koje zurück und konnte nicht wieder einschlafen. Nach „Aufhebung eines Vertrages“ sah das nicht aus! Wer war diese Messalina und wozu hatte sich Siegi verpflichtet? Je eindringlicher ich ihn danach fragte, desto abweisender reagierte er. Wenige Wochen später erklärte er, wir müssten uns für eine Zeit trennen, um dann für immer zusammenzuleben. Ich traute dem Frieden nicht, zog aus und fand in dem einzigen Haus, das auf dem weiten Areal zwischen Güterbahnhof und Funkhaus von Bomben verschont geblieben war, eine liebevolle „Schlummermutter“, die in mir eine angehende Partie für ihren extrem schüchternen Kronsohn sah.
Es begann die Zeit, von der Mama annahm, ich hätte das Glück gepachtet. Im Schulfunk dramatisierte ich russische Märchen, in der Jugendgruppe brachte ich mich wieder voll ein, nahm Schauspielunterricht, lernte Russisch, hörte schwarz an der Uni, probierte mich im Schülerfunk als Reporter aus – wobei ich den verrückt-kauzigen Kollegen aus Weimar kennenlernte, – kurz, ich war in meinem Element. Und – großes Aufatmen! – kurz vor meinem Ostsee-Urlaub verkündete mir Siegi, seine „Sache“ habe sich nun geklärt und er würde bald nachkommen.

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