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Eine Mutter im Himmel und eine auf der Erde


Eine Mutter im Himmel und eine auf der Erde


1. Auflage

von: Ingrid Möller

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 23.11.2015
ISBN/EAN: 9783956555640
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 146

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Was passiert, wenn plötzlich alle Gewissheit erschüttert wird? Das Kind kann nicht glauben, was es da hört, das Kind will nicht glauben, was es da hört – eine ungeheuerliche Behauptung:
Jetzt sind alle Erwachsenen weg. Das Spiel könnte ungestört weitergehen. Aber sie haben sich müde getobt, und der spannende Zwischenfall beschäftigt sie immer noch. Jedes der Mädchen fragt sich insgeheim, ob die eigenen Eltern ihre kleinen Kümmernisse auch so ernst nehmen würden. Und alle kommen für sich zu dem Schluss: nein, bestimmt nicht. Schade eigentlich. Ruth spricht aus, was auch die anderen beiden denken: „Du hast es gut, solche Eltern möchte ich auch haben.“
Doch da stellt sich Irene vor sie und sagt giftig: „Eltern? Dass ich nicht lache! Das sind ja überhaupt nicht deine Eltern! Meine Mutter hat es mir erzählt. Deine richtige Mutter ist nämlich tot. Mausetot. Und das schon, seitdem du geboren bist!“
„Quatsch!“, sagt Doris, „Dann hätten sie mir das längst gesagt. Du spinnst ja, du blöde Ziege! Gib zu, dass du dir das ausgedacht hast!“
„Frag doch deine sogenannten Eltern - du wirst schon sehen!“ Unerhört! Das sieht Irene ähnlich. Noch nie hat Doris sie ausstehen können. Schluss mit der albernen Ballspielerei. Es reicht.
„Und überhaupt: wie kommst du dazu, hier anzutanzen? Macht man das, fremde Briefe lesen? Nie was von Postgeheimnis gehört?“
Doris gerät in Zorn.
„Wär's dir lieber, ich hätte der Klassenlehrerin gesteckt, was ihre Musterschülerin in Wirklichkeit während des Unterrichts treibt?“ Irenes Blicke sind böse.
„Es würde mich nicht wundern, wenn eine Lügnerin, die fremde Briefe liest, auch noch eine Petze wär“, sagt Doris scharf. „Dann tschüss für heute!“
Ruth hat ein Stückchen denselben Weg. „Ärger dich doch nicht über die Kröte“, sucht sie ihre beste Freundin zu trösten, „ist doch klar wie Kloßbrühe, sie ist nur neidisch. Ihre Mutter stänkert dauernd mit ihr rum, und ihr Vater ist im Krieg. Da kann sie wohl nicht anders.“
Nein, das Mädchen will nicht glauben, was es gerade gehört hat:
Wie Doris das Problem auch wendet, leise Zweifel bleiben. Kein Rauch ohne Feuer. Wie kommt es, dass in der Vorstadt jemand wohnt, zu dem sie "Vati" sagt und dessen Kinder ihre Geschwister sein sollen. Merkwürdig ist das schon. Und manchmal hat sie ihre Mutter auch gefragt, warum es einen Papa und einen Vati für sie gibt, wo doch alle anderen Kinder nur einen Vater haben. Dann hatte die Mutter abgewinkt und gesagt, sie würde es ihr später erklären.
Irgendwie ist das verdächtig.
I. Das Spiel
II. Die bittere Wahrheit
III. Die Krankheit
IV. Grimms Märchen
V. Ohnmacht
VI. Der Fahrradunfall
VII. Der falsche Losverkäufer
VIII. Im Garten
IX. Der Klassenausflug
X. Sommerferien
XI. Fliegeralarm
XII. Ein geheimnisvoller nächtlicher Gast
XIII. Kriegswinter
XIV. Mutters Geburtstag
XV. Weiße Fahnen
XVI. Zweifelhafter Frieden
XVII. Schauplatz Küche
XVIII. Die Verhaftung
XIX. Wartezeit
XX. Die Heimkehr
Geboren 1934 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern).
Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie an der Humboldt-Universität BerIin. Diplom, Promotion zum Dr. phil.
1965-69 Redakteurin am Lexikon der Kunst, HU Berlin.
1973-84 Leiterin der Graphischen Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin.
Ausstellungsbetreuungen u.a. in Japan, Mexiko und Estland.
Studienaufenthalte in Holland, Frankreich, England, Irland, Skandinavien, Italien und den USA
Verheiratet seit 1955, drei Kinder, vier Enkel.
Seit 1985 freischaffende Schriftstellerin.
Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Friedrich-Bödecker-Kreis.
Auszeichnungen:
Franz Bunke-Preis 1991 (Hamburg),
Peter-Härtling-Preis 1994 (Weinheim).
Am nächsten Morgen wacht Doris spät auf. Bei geschlossenen Augen horcht sie auf die Geräusche. Alles ist wie immer. Die Perpendikeluhr über dem Bett tickt. Nebenan plätschert Wasser in der Waschschüssel, draußen kreischen die Mauersegler, die wie jedes Jahr die jungen Stare aus dem Nest geschmissen haben und nun selbst im Starenkasten brüten.
Kein Aufwachen also auf Wolkenpolstern in den Armen ihrer richtigen Mutter, wie sie gehofft hatte. Auf nichts ist Verlass.
Totheulen - auch das muss wohl so ein verlogenes Erwachsenenwort sein, dem man nicht trauen darf. Es funktioniert nicht. Sie hat sich die größte Mühe gegeben. Schlapp hat sie sich schließlich gefühlt, das ja. Aber dann muss sie wohl doch gegen ihren Willen eingeschlafen sein. Schlapp fühlt sie sich noch immer.
Sie lässt die Augen auch noch zu, als die Mutter leise ins Zimmer kommt und die Rollos hochzieht.
"Doris, es wird Zeit!" Auch das sagt sie ganz behutsam und leise. Doris tut, als würde sie gerade erst aufwachen.
"Meine Güte!", sagt die Mutter und setzt sich auf den Bettrand, "guck mich mal an, du hast ja ganz fiebrige Augen!" Sie fühlt die Stirn. Heiß. Sie rennt nach dem Fieberthermometer, kommt zurück und steckt es Doris in die Achselhöhle. "Tut dir was weh?"
"Der Hals bisschen."
Mund auf, Aaah sagen, Zunge runter. Ja, der Hals ist gerötet.
"Wie kommt das nun wieder -", sagt die Mutter wie zu sich selbst. Das Fieberthermometer zeigt über 38. Und das schon am Morgen.
"Du musst liegen bleiben. Ich ruf Doktor Hagemann an. Und in der Schule sage ich auch Bescheid."
Vorerst gibt es kalte Wadenwickel, eine Speckschwarte wird auf die Brust gebunden und sie muss den verabscheuten Sud aus Zwiebelsaft und Zuckerrübensirup trinken.
Doris lässt sich in die Kissen fallen. Müde und matt ist sie wirklich. Und beim Schlucken tut es auch weh. Dass sie nicht zur Schule muss, kann ihr nur recht sein. Sie müsste sich - gerechterweise - bei Irene entschuldigen und das würde ihr schwerfallen. Schließlich sind allerhand böse Worte gefallen. Blöde Ziege und Lügnerin und so.
Kranksein hat auch sein Gutes. Keine Pflichten. Nichts muss man tun. Kein Können beweisen. Keine Aufmerksamkeit vortäuschen, wo einen der Unterricht langweilt. - Doris stellt sich vor, wie die anderen jetzt eifrig bemüht sind, im Kettenrechnen mitzukommen. "Drei plus sieben minus vier mal drei geteilt durch zwei" - alles schnell gesprochen ohne Punkt und Komma. Wie sie das hasst! Aber Raubein - wie sie den Rechenlehrer nennen - schwört darauf, dass nur solche Aufgaben den Geist angemessen schulen.
Sie reckt sich. Eigentlich hat sie es da zu Hause doch viel gemütlicher. Alle werden sie in Ruhe lassen. Kranke brauchen Schonung. "Der Arzt kommt halb zwölf", sagt die Mutter und fängt an, das Zimmer aufzuräumen. Jetzt schon.
"Hast du auf irgendwas Besonderes Appetit?" Sie stellt Apfelsaft hin. Von Apfelsaft ist der Keller voll. Kein Wunder bei einem Garten mit fast hundert Apfelbäumen. Doris schüttelt den Kopf. Keine Sonderwünsche. Nur:
"Kannst du bitte die Rollos runterlassen? Das Licht blendet so."
"Gut. Wenn du möchtest."
Das Dämmerlicht tut gut. Doris hat oft gehört, dass Trauernde sich in dunklen Räumen einsperren. Sie fühlt sich als Trauernde. Schließlich hat sie neun Jahre sorgloses, unbeschwertes Dahinleben gutzumachen, hat sich zu fragen, wieso sie alle verdächtigen Ahnungen beiseiteschieben konnte.

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