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Die Erschaffung des Richard Hamilton


Die Erschaffung des Richard Hamilton

Storys
1. Auflage

von: Walter Kaufmann

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 27.12.2013
ISBN/EAN: 9783863945640
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 266

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Dieses Buch präsentiert insgesamt 22 Storys des deutsch-australischen Journalisten und Schriftstellers Walter Kaufmann, der verdammt gut schreiben konnte. Es dauert meist ein bisschen, ehe man beim Lesen dieser Storys begreift, in welchen schwierigen Entscheidungssituationen sich die Figuren befinden und wie es ihnen dennoch gelingt, sich zu behaupten. In der titelgebenden Story können wir miterleben, wie sich einer von seinem komischen Namen und von seinem früheren Leben trennt:
Wenn Ihnen jemand sagte, sein Name sei Humphrey Humphreys (das heißt so viel wie Buckel Buckel), würden Sie sicher lachen und glauben, er mache einen Witz. Nun, ich mache keinen Witz. Ich heiße wirklich so. Und ich bin überzeugt, meine Mutter hat mich absichtlich so genannt - die bloße Zusammenstellung dieser beiden Namen muss auf alle Menschen lächerlich wirken; wahrscheinlich hoffte sie, mich auf diese Weise für immer von sich abhängig zu machen. Als ich noch klein war, hatte ich, wie Sie sich wohl denken können, sehr unter meinem Namen zu leiden - Kinder sind grausam. Meist wurde ich Hump gerufen, und den Sternen sei Dank, dass ich wenigstens keinen Buckel habe, immer war ich einer der Kleinsten, das ist schon schlimm genug. Und kurzsichtig bin ich obendrein: seit meinem sechsten Lebensjahr trage ich eine Brille, was mich besonders beim Sport nicht wenig behinderte.
Als ich mit vierzehn aus der Schule kam, wusste ich nicht, was ich werden sollte. Ich zog von einer Lehrstelle zur anderen, versuchte es mit den verschiedensten Arbeiten - verlangen Sie nicht, dass ich sie alle aufzähle. Ich möchte mich auf die jüngste Vergangenheit beschränken, auf zwei Jahre nach meiner Entlassung aus der Commercial Bank of Australasia. (Das war in der Nachkriegskrise, wissen Sie.) Ich arbeitete als Kontrolleur in den Docks, als Schreiber bei einem Buchmacher, als Kassierer auf einem Rummelplatz, sogar als Vertreter von Staubsaugern. Dann wollte ich mich als Buchhalter und Reklamechef einem Wanderzirkus anschließen (diese Arbeit hätte mir sehr gelegen, glaube ich), aber da wurde meine Mutter halsstarrig, Auf einmal war ich ihr unentbehrlich.
Dann blieb er für ein paar Wochen zu Hause, um Kurzgeschichten zu schreiben, wofür er ein gewisses Talent hat. Einige seiner Arbeiten sind sogar in der Zeitung erschienen - unter dem Namen Richard Hamilton - ein Name, mit dem ein Mann der Welt entgegentreten konnte!
Die Erschaftung des Richard Hamilton
Wo ist Tommy?
Bert Currigans Weg nach oben
Der Witz des Jahres
Dilemma
Die Botschaft
Notwendigkeit
Home, sweet home
Anonymes Bekenntnis
Der lange Weg nach Hause
Die Zähmung des Patrick Mullligan
Die Puppe
El Dorado
Das Zaubermesser
Trennung
Jenseits der Erfüllung
Punkt ohne Wiederkehr
Steckbrief eines Seemanns
Landgang in Cardenas
Nacht ohne Morgen
Kapitulation
Walter Kaufmann (eigentlich Jizchak Schmeidler) wurde 1924 in Berlin als Sohn einer jüdischen Verkäuferin geboren und 1926 von einem jüdischen Anwaltsehepaar adoptiert. Er wuchs in Duisburg auf und besuchte dort das Gymnasium. Seine Adoptiveltern wurden nach der Reichskristallnacht verhaftet, kamen ins KZ Theresienstadt und wurden im KZ Auschwitz ermordet. Ihm gelang 1939 mit einem Kindertransport die Flucht über die Niederlande nach Großbritannien.
Dort wurde er interniert und 1940 mit dem Schiff nach Australien gebracht. Anfangs arbeitete er als Landarbeiter und Obstpflücker und diente als Freiwilliger vier Jahre in der Australischen Armee.
Nach 1945 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Straßenfotograf, auf einer Werft, im Schlachthof und als Seemann der Handelsmarine. 1949 begann er seinen ersten Roman, der 1953 in Melbourne erschien.
1957 übersiedelte er in die DDR, behielt jedoch die australische Staatsbürgerschaft. Seit Ende der 1950er Jahre ist Walter Kaufmann freischaffender Schriftsteller. Ab 1955 gehörte er dem Deutschen Schriftstellerverband und ab 1975 der PEN-Zentrum der DDR, dessen Generalsekretär er von 1985 bis 1993 war. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
Walter Kaufmann war außerdem in mehreren DEFA-Filmen als Darsteller tätig, teilweise unter dem Pseudonym John Mercator.
Auszeichnungen
1959: Mary Gilmore Award
1961, 1964: Theodor-Fontane-Preis des Bezirkes Potsdam
1967: Heinrich-Mann-Preis
1993: Literaturpreis Ruhrgebiet
Bibliografie

Werke in englischer Sprache
Voices in the storm
The curse of Maralinga and other stories
American encounter
Beyond the green world of childhood

Werke in deutscher Sprache
Wohin der Mensch gehört
Der Fluch von Maralinga
Ruf der Inseln
Feuer am Suvastrand
Kreuzwege
Die Erschaffung des Richard Hamilton
Begegnung mit Amerika heute
Unter australischer Sonne
Hoffnung unter Glas
Stefan – Mosaik einer Kindheit
Unter dem wechselnden Mond
Gerücht vom Ende der Welt
Unterwegs zu Angela
Das verschwundene Hotel
Am Kai der Hoffnung
Entführung in Manhattan
Patrick
Stimmen im Sturm
Wir lachen, weil wir weinen
Irische Reise
Drei Reisen ins gelobte Land
Kauf mir doch ein Krokodil
Flucht
Jenseits der Kindheit
Manhattan-Sinfonie
Tod in Fremantle
Die Zeit berühren
Ein jegliches hat seine Zeit
Im Schloss zu Mecklenburg und anderswo
Über eine Liebe in Deutschland
Gelebtes Leben
Amerika
Die Welt des Markus Epstein
Im Fluss der Zeit
Schade, dass du Jude bist
Einmal saß mir im Eisenbahnzug nach Wonthaggi ein Fremder gegenüber. Ich musterte ihn in der gleichgültigen Art, wie wir es manchmal tun, wenn nichts anderes unsere Aufmerksamkeit erregt. Aber allmählich erwuchs daraus ein gegenseitiges Erkennen, das nichts mit dem zu tun hatte, wer oder was der andere war, sondern damit, dass es ihn überhaupt gab.
Da lächelten wir uns zu, und das war, als ob wir uns die Hände reichten.
Hier saß mir also ein Australier gegenüber, ein abgehärteter, magerer Arbeiter. Und ich, der Jude aus Deutschland, bedrückt von der Vergangenheit, die immer noch über mir hing, fühlte mich plötzlich zum ersten Mal befreit, es schien, als ob neue Kraft und ruhiges Glücksgefühl über mich kämen.
„Schon von Wonthaggi gehört, nehm ich an?“, fragte der Mann.
„Ja“, antwortete ich. „dort wird Kohle gefördert.“
„Stimmt, ich bin selbst Bergmann.“
„Ich vermutete das“, sagte ich.
„So?“, sagte er und setzte sich in seinem Sitz zurück. Er schien erkannt zu haben, dass Wonthaggi für mich nur ein Name und die Tätigkeit des Bergmanns nur eine verschwommene Vorstellung von harter, schmutziger Arbeit war.
„Neu in diesem Land?“, fragte er, aber es klang wie eine Feststellung von etwas bereits Bekanntem, eine Feststellung, die mit viel Wohlwollen verbunden war. Man hatte mir diese Frage schon oft gestellt, jedoch stets mit unangebrachter Neugier oder mit Misstrauen.
„Ja“, sagte ich, „ich bin noch nicht lange hier.“
Er nickte mir zu. Sein Gesicht drückte offenes Interesse aus. Es war nicht jenes höfliche Interesse, das der Neugier des Augenblicks entspringt, sondern das der Sorge des Arbeiters um den anderen.
Er stocherte nicht in meiner Vergangenheit herum, und ich war ihm dankbar dafür, fühlte ich doch, dass ihn nur meine Zukunft interessierte. Danach unterhielten wir uns ungezwungen, und am Ende forderte der Bergmann mich auf, ihn doch einmal zu besuchen. Er drückte sich so aus: „Kannst an irgendeinem Abend zum Tee kommen. Meine Frau und ich, wir würden uns freuen, dich zu sehen.“ Darauf kramte er einen Bleistiftstummel hervor und schrieb seine Adresse sehr langsam auf, wobei der rumpelnde Zug seine Hand schüttelte.
Einen Augenblick lang glaubte ich, die Einladung sei eine Art Wohltätigkeit von ihm; aber dann wurde mir klar, dass dies nicht so war. Ich dankte ihm und sagte, dass ich mich auf diesen Besuch freue.
Ich versuchte mir nun vorzustellen, wie es in seinem Haus aussehen würde. Dabei erinnerte ich mich an Wilhelms Haus in Deutschland - ein kleines, rußiges Ziegelhaus in der Nähe der Stahlwerke, ein Haus in einer schmalen, von Rauch erfüllten Straße, das einer Steinmauer gegenüberstand, auf der stets in großen, ungleichmäßigen Buchstaben Losungen standen: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ - „Hitler bedeutet Krieg“ - „Freiheit für Ernst Thälmann.“ Die Nazis übermalten die Losungen immer und setzten riesige Hakenkreuze an ihre Stelle, von denen kalkweiße Streifen die Mauer herunterliefen. In Wilhelms Haus aber hatte es kein Übermalen gegeben, kein Schwanken und kein Ducken. Dort hatte man die Losungen nicht aufgegeben.
Ich blickte auf und dachte nicht mehr an Deutschland. Der Wonthaggi-Bergmann, mein neuer Freund, rollte sich eine Zigarette. Ich sah zu, wie er den Tabak zwischen den Handballen rieb. Dann dachte ich: Bist wie Wilhelm, siehst zwar nicht so aus, aber handelst und sprichst wie er.
„Du bist uns stets willkommen, jederzeit“, hatte Wilhelm gesagt, sogar nachdem ihn ein Naziboss davor gewarnt hatte, einen Juden einzuladen. „Meine Frau und ich, wir werden uns immer freuen, dich zu sehen ...“
Auch hier gab es also Männer, die keine Angst hatten, ohne weitere Umstände mit einem anderen bekannt zu werden und ihm zu trauen, und die, nachdem sie ihm einmal ihr Vertrauen geschenkt haben, auch zu ihm stehen und ihm dadurch Mut machen. Ich freute mich.
Am Bahnhof trennten wir uns.

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