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Der Köder


Der Köder

Die Zauberer von Baracoa
1. Auflage

von: Heinz Kruschel

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 23.10.2014
ISBN/EAN: 9783956551154
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 374

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

In den zwanziger Jahren, als die Basmatschen im sowjetischen Zentralasien, unterstützt von den Engländern, mit Terror und Mord einen muselmanischen Staat aufbauen wollten, kämpften Sawrija und Ulug nicht nur um ihre Liebe, sondern auch um das Leben des Dichters, das sie aber nicht mehr retten konnten.
Während des zweiten Weltkrieges wollte ein Sechzehnjähriger nicht glauben, dass sein väterlicher Freund nicht wiederkehren sollte. Er sträubte sich gegen den Befehl, ihn im Interesse der Gruppe aufzugeben, ihrer Aufgabe und der Sache wegen, und er musste sich doch gegen den Freund entscheiden.
Und spät entscheidet sich Boris in den ersten Tagen des bulgarischen Aufstandes, zu spät für seine Mutter Rusha, die von seinen ehemaligen Freunden getötet wurde, aber noch nicht zu spät für den Zug der Gefangenen, die auf dem Wege vom Zuchthaus zum Bahnhof überfallen werden sollten. Noch hörte er das Lied, „das die Räder des Wagens singen werden".
Das Dorf, in dem Orestes mit Caridad und den anderen Klassenkameraden alphabetisieren sollte, lag im unwegsamen Bergland von Baracoa, und die Menschen lebten dort unter bitteren Verhältnissen. Die Kinder starben früh, weil es an Eiweiß mangelte, die Leute glaubten dem Medizinmann, Epidemien brachen aus, die Konterrevolution gab sich noch nicht geschlagen. Der fünfzehnjährige Orestes musste entscheiden und handeln wie ein Mann. Sogar gegen seinen Pflegevater, der Kuba mit ihm verlassen wollte.
In den vorliegenden vier Erzählungen Heinz Kruschels stehen junge Menschen vor Aufgaben, die unlösbar erscheinen. Sie müssen Entscheidungen treffen, die fast zu schwer für sie sind, die Entscheidungen junger Revolutionäre. Sie müssen über sich selbst hinauswachsen. Kruschel gestaltet vier außergewöhnliche Stoffe in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten. Der Reiz des Bandes liegt in der erregenden Darstellung wie auch in der thematischen, weil internationalen Vielfalt. Der kritische Vergleich des jugendlichen Lesers mit den Helden der Erzählung wird geradezu herausgefordert.
Das Ende der Basmatschen
Der Köder
Die Gefangenen
Die Zauberer von Baracoa
Heinz Kruschel, 1929–2011, Sohn eines Bergmanns und späteren kaufmännischen Angestellten der Staßfurter Salzbergwerke, entging nur knapp dem für seine Generation typischen Schicksal, im finalen Aufgebot der letzten Kriegstage - dem "Volkssturm" - verheizt zu werden.
Noch ehe er seine Modelltischlerlehre beendet hatte, beschloss die Partei, in die er jung eingetreten war, dass er Neulehrer zu werden habe, und ließ ihn 1949/50 am Lehrerbildungsinstitut in Staßfurt studieren. Anschließend war er Lehrer in Sandersdorf - den Schülern jeweils ein Kapitel im Lehrbuch voraus -, danach in Magdeburg und Egeln sowie Direktor einer Erweiterten Oberschule in Havelberg.
Nach einem berufsbegleitenden Fernstudium der Germanistik war er Journalist und Kulturredakteur bei der "Volksstimme" in Magdeburg. Ab 1963 lebte er als freier Schriftsteller in Magdeburg, bereiste im Auftrag von Illustrierten wie der "Für dich" Ungarn, Bulgarien, Usbekistan und Kuba und schrieb zahlreiche Erzählungen und Romane für Jugendliche und Erwachsene.
Sein Roman "Das Mädchen Ann und der Soldat" wurde 25 Jahre lang immer wieder neu aufgelegt, während Bücher wie "Der Mann mit den vielen Namen" oder "Leben. Nicht allein" erst nach erbitterten Auseinandersetzungen mit jenen Behörden, die Literatur zu genehmigen hatten, erscheinen durften.
Sein Roman "Gesucht wird die freundliche Welt", der als erster in der DDR das Thema des Umgangs mit straffällig gewordenen Jugendlichen thematisierte, wurde 1978 von Erwin Stranka unter dem Titel "Sabine Wulff" verfilmt.
Auszeichnungen:
Erich-Weinert-Preis der Stadt Magdeburg
Theodor-Körner-Preis
Banner der Arbeit
Literaturpreis des FDGB
Vaterländischer Verdienstorden
Der kleine Nicolas sah ihn zuerst. Es war Sonntag. Seine Familie lief ins Freie, um den alten Mann zu begrüßen, der auf einem kleinen drahtigen Pferd saß und von mehreren Männern begleitet wurde. Ein Mädchen sei schwer krank, erzählte die Hausfrau, der Don werde sie heilen, das sei eine große Ehre, nur selten zeige sich der alte Don, er verfüge über geheimnisvolle Gaben. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung wie zu einer Prozession.
Nicolas lief ihnen voraus, kam atemlos im Tal an. Die Menschen versammelten sich auf demselben Platz, wo die jungen Rebellen vor Monaten angekommen waren. »Ein Medizinmann ist da!«, rief Nicolas den Freunden zu. »Er will ein krankes Mädchen heilen!«
Renee fragte: »Ein Medizinmann? Das gibt es doch nicht. Leben wir denn im Mittelalter?« Julian blickte ihn böse an. Alle kamen: Orestes mit seiner Familie, Caridad, der alte Carmelo, Felix, die Männer und Frauen, nur die Kinder hielten sich scheu abseits.
Der alte Don sprach nicht, er hielt die schweren Augenlider halb geschlossen. Um seinen Hals hingen mehrere lange Ketten, an denen Skorpionstachel, getrocknete Vogelzungen, Zangen der Buschspinnen, Haarbüschel, Schneckenhäuser und Knoblauchknollen befestigt waren. Der alte Don war also doch ein Zauberer! Orestes sagte zu Renee, dass dies der Mann sei, von dem sie die Kühe erhalten hatten.
Dann brachte der Vater sein bewusstloses Kind, ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt. Er trug es vor sich her und legte es auf einen mit Palmblättern bedeckten Platz. Die Menschen waren still, nur der Vater jammerte leise. Das Mädchen rührte sich nicht, doch es hielt die Augen geöffnet. Der Kopf war rot und geschwollen. Fieber! Carmelo rief, der alte Don solle verschwinden, aber zwei Männer hielten ihn fest. Carmelo schrie weiter, der elende Don solle sich davonscheren, seinetwegen könne er ja in einer Yumurri-Höhle hausen, man solle ihn sofort loslassen, er werde den Kerl selbst erwürgen, verdient habe er es schon lange.
Der Don blieb auf seinem Pferd sitzen und schwieg. Der Vater des Mädchens fragte demütig, ob das Kind zu heilen sei, er habe nur noch das eine, die Geschwister seien gestorben. Der Don antwortete nicht, das schien unter seiner Würde zu sein. Er gab vom Pferd herab seine Anweisungen. Die alten Frauen gehorchten ihm sofort. Er reichte ihnen ein mit Wachs verklebtes Ziegenhorn und befahl ihnen, das Wachs zu entfernen und die Kräutermischung darin in einem Topf zum Kochen zu bringen. Andere sollten ein Feuer anzünden, aber es dürfe nur schwelen, nicht brennen. Der Vater trat zurück. Der Don hockte immer noch auf dem Pferd.
Auf Orestes wirkte das alles wie ein Märchen, wie ein Theaterstück auf einer Freilichtbühne. Aber das war keine Exotik für Touristen, es war pure Wirklichkeit, und das in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Caridad fasste sich zuerst und rief: »Tut denn hier keiner was? Renee? Orestes? Felix? Das sind doch Faxen! Denkt hier keiner an das arme Kind?«
Renees Stirn rötete sich. Die alten Frauen murrten. Der Don lächelte Caridad zu. Die Frauen verlangten, Caridad solle den Mund halten. Carmelo tobte wieder, aber er kam gegen die kräftigen Männer, die ihn festhielten, nicht an. Der krumme Alte, den Orestes schon kannte, blies in das Feuer, es qualmte stark und beizte die Augen. Der alte Don begann zu singen, er hatte eine schöne, volle Bassstimme.
Der Vater fragte immer wieder: »Ihr helft mir doch? Nicht wahr, ihr helft mir, Don?«
Caridad sagte zu Orestes: »Ich liebe dich, aber ich mag dich nicht mehr, wenn du nur gaffst. Du bist doch kein Feigling. Muss dich erst der alte Carmelo beschämen?«
Orestes fasste sich ein Herz, ging zu dem Don und unterbrach seinen Gesang. »Buenos dias, Don. Was soll das culto? Meint ihr nicht, das Kind müsse vom Arzt behandelt werden?«
Der Don hielt inne, lächelte und sagte: »Ah, der Agitator. Leben die Kühe noch? Tatsächlich? Das hatte ich nicht erwartet. Sie sollten nämlich am nächsten Tag erschossen werden; sie brachten nur noch tote Kälber zur Welt und steckten die Herde an, und Milch gaben sie kaum noch. Bravo, ihr habt den Weg geschafft. Aber jetzt lasst mich meine Arbeit tun, die Leute erwarten das von mir. Sie mögen mich nicht, aber sie brauchen mich, das siehst du doch.«
Renee stand plötzlich an Orestes’ Seite und schrie den Don an: »Unterlassen Sie hier den Zauber!« Man riss Renee zurück, er schlug hin. Das Kind wurde mit qualmenden Palmblättern befächelt, die Leute husteten, das Kind regte sich nicht, einige Frauen begannen zu singen. Der krumme Alte half dem Don vom Pferd, nun stand er gebeugt auf seinen dünnen Beinen neben dem Kind und starrte es an.
Orestes sah sich um. Nicolas und Felix standen wie gebannt. Jesus und Maria hielten sich abseits, und Julian erklärte: »Der Mann vertraut dem Don, es ist sein Kind, und der Don wird das Mädchen retten, er kann es, er wird helfen können.«
Renee hatte sich aus dem Staub erhoben. Der alte Don sagte zu Orestes: »Du sprichst von Ärzten. Ist hier einer? Soll ich das Kind sterben lassen? Na, siehst du!«
»Aber so stirbt es unbedingt!«, rief Caridad.
»Weißt du das genau?«
Orestes dachte: Jesus könnte etwas tun, auf Jesus haben die Leute schon oft gehört, aber er steht abseits, hat seine Frau umgefasst und sieht zu. Hat er Angst?
Dann hielt Renee seine Pistole in der Hand, die er schon in der Schule gehabt hatte, als er aus der Sierra zurückgekommen war. Er hatte sie nicht abgegeben. Dreimal schoss er in die Luft. Einige Frauen schrien auf, dann wurde es ganz still, nur die grünen Blätter zischten in der Glut. Der alte Don versuchte weiterzusingen, und der krumme Alte legte auf Renee an.
»Lass das«, sagte Renee scharf, »schmeiß die Knarre weg, ich schieße besser und schneller als du.«
Der Don gab seinem Leibwächter ein Zeichen, der warf das Gewehr ins Gras. »Was willst du? Mit welchem Recht bedrohst du mich hier?«
Renee antwortete nicht, sondern sagte zu dem Vater des Kindes, er solle das Pferd des Alten nehmen und sofort nach Baracoa reiten. »Du wirst vielleicht das Kind noch retten können, wenn es so schnell wie möglich in ein Krankenhaus kommt. Es hat das gelbe Fieber, ich kenne die Krankheit.«
Der Vater weinte. »Ich muss über zehn Flüsse bis Baracoa, das Kind stirbt mir unterwegs.«
Der Don sagte laut: »Stimmt. Ich heile das Kind.« Er winkte Renee zu sich heran. »Stirbt das Kind auf dem Wege nach Baracoa, dann trägst du die Schuld, ist dir das klar? Soll doch der Vater entscheiden.«
Renee steckte den Revolver nicht weg. »Unter deinen Händen stirbt es.«
Der Don sagte leise zu Renee: »Das ist hier die Frage. Du hast kein Recht, mich oder diesen Mann zu zwingen. Ich auch nicht. Das Kind kann hier sterben, das gebe ich zu. Es kann auch unterwegs sterben. Dann hast du es auf dem Gewissen. Ich will dir sagen«, seine Stimme sank zu einem Flüsterton herab, »ich will dir sagen, mein Junge, dass ich nicht an die Heilung glaube, es sind zwar gute Kräuter, aber gegen diese Krankheit ist kein Kraut gewachsen.«
Renee rief laut: »Er glaubt selber nicht daran! Habt ihr gehört, er glaubt selber nicht an seinen Spuk!«
»Das habe ich nicht gesagt!«
»Stirbt das Kind, hilft dir kein Mensch mehr, Alter«, mahnte Renee eindringlich.
Orestes sagte: »Ich habe alles mit angehört, Don.« Der Alte ging zu seinem Pferd und ließ sich von seinem Wächter hinaufhelfen. Da ließen die Männer den alten Carmelo los, der auf Renee zuging und ihn umarmte.
Der Vater bestieg das andere Pferd und ließ sich das bewusstlose Kind hinaufreichen. Der Vater weinte, die Tränen flossen über sein braunes, faltiges Gesicht. Der Don ritt noch einmal um das Feuer herum und dann in das Tal hinein, ein paar Frauen folgten ihm ein Stück und rangen wehklagend die Hände. Er würde nie wiederkommen, welches Unglück für sie alle!
Die Gruppe der Alphabetisatoren blieb noch zusammen und diskutierte über den Aberglauben. Hatten sie die Leute überzeugt? »Wenn der Vater das Kind lebend nach Baracoa bringt und die Ärzte das Mädchen retten können, haben wir gesiegt«, sagte Caridad.
Renee lachte und klopfte gegen den Schaft seines Trommelrevolvers. »In einem solchen Fall verstehen sie nur diese Sprache.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Orestes, »wir müssen überzeugen und nicht drohen.«
»Willst du das immer schaffen?«
Felix sagte: »Ich war wie erstarrt. Wir können doch nicht alles tun, aber hier müssten wir alles tun. Das sind Zustände! Was ist der alte Don für ein Mensch? Ein Feind?«
»Ich denke nicht«, sagte Caridad. Und der kleine Nicolas dachte: Patria o muerte, Vaterland oder Tod, das sagt sich so leicht, aber dazwischen steht so viel, wie soll man richtig entscheiden können? Ich bewundere Renee, aber auch Orestes und Caridad. Ihnen fällt im rechten Augenblick immer das rechte Wort ein. Ich weiß immer erst hinterher, wie ich mich hätte verhalten müssen.

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