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Das Steingesicht von Oedeleck


Das Steingesicht von Oedeleck


1. Auflage

von: Wolfgang Held

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 11.02.2013
ISBN/EAN: 9783863949242
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 171

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Es war eigentlich wie immer, eigentlich eine ganz normale Schicht: Die drei Männer im Querschlagvortrieb der Hundertmetersohle arbeiteten mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre nackten Oberkörper schimmerten im Licht der starken Grubenlampe wie Bronze. Es war heiß hier unten, drückend heiß. Die Frischluft, die von mächtigen Pumpen durch ein verzweigtes Leitungsnetz bis in den letzten Winkel des Schachtes gepresst wurde, schaffte nur wenig Linderung. Das allein aber hätte den drei Männern kaum die Lippen für jedes Wort geschlossen. Zimperlinge wählen nicht den Bergmannsberuf. Zu der Hitze kam der Lärm. Die Felswände warfen das Rattern des Pressluftbohrers dutzendfach zurück, jeden anderen Laut erstickend. Und zu dem Lärm kam der graue Steinstaub. Wie eine zweite Haut klebte er an den Männern, die zu einer neuen Erzschicht vordrangen.
Erich Freitag, dessen Fäuste den zuckenden und schüttelnden Bohrer fest umklammerten, der Oberschlesier Otto Kaminsky und der Junghauer Hans Luck aus dem Ruhrgebiet, die das bereits abgesprengte Gestein in eine Kipplore füllten - sie waren nur drei von einhundertneunundzwanzig Bergleuten, die um diese Stunde tief unter dem Tageslicht Eisenerz aus dem unterirdischen Gebirge brachen, tunnelartige Stollen mit hölzernen Stempeln gegen Einsturz sicherten oder die Loren zwischen Förderschacht und Abbaustellen hin und her dirigierten. Noch ahnte keiner von ihnen, dass diese Schicht nicht wie all die anderen enden würde.
Und dann passiert es. Ein Grubenunglück. Zu den Eingeschlossenen gehört auch Erich Freitag, der Vater des zwölfjährigen Rolf, der seit der 1. Klasse eng mit Jürgen befreundet ist – dem gleichaltrigen Sohn des Zechendirektors. Eben diese Freundschaft wird auf eine harte Bewährungsprobe gestellt, als 49 Bergleute nach einem Wassereinbruch in den Schacht nicht mehr nach oben kommen. Nachdem doch ein paar Bergleute gerettet werden können, werden Fragen laut, ob die Grubenleitung von dem drohenden Wassereinbruch wusste. Und viel zu schnell wird die Suche nach den anderen Eingeschlossenen abgeschlossenen.
Doch dann machen plötzlich Klopfsignale aus dem „Alten Mann“, einem Hohlraum, neue Hoffnung. Können die Bergleute gerettet werden, wird Rolf seinen Vater wiedersehen?
Diesem auch für Erwachsene spannend zu lesendem Kinderbuch liegt eine wahre Geschichte des Grubenunglücks von Lengede am 24. Oktober 1963, dem „Wunder von Lengede“, zugrunde.
Ein Teich versinkt
Der zweite Tag
Schwarze Fahnen
Sturm zieht auf
Die Toten melden sich
Im Wettlauf mit dem Tod
Steingesicht erscheint
Geboren 1930 in Weimar, aufgewachsen und erzogen in einem konsequent sozialdemokratischen Elternhaus, stark geprägt vom Erlebnis KZ Buchenwald im April 1945 auf der Suche nach einem von der Gestapo verhafteten Onkel.
Volksschule und Handelsaufbauschule in Weimar, 1948/49 als Volkspolizist freiwilliger Aufbauhelfer (Enttrümmerung, Wasserleitung Maxhütte, u.a.).
Erkrankung an Tuiberkulose. Im Sanatorium für den weiteren Lebensweg entscheidende Begegnung und monatelanges, gemeinsames Zusammenleben in einem Zimmer mit gleichaltrigem Vikar.
Journalistische Ausbildung. Tätigkeit als Redaktionsassistent. Erste Buchveröffentlichung 1959.
Ab 1964 freischaffender Schriftsteller. Im literarischen Schaffen beeinflusst von Louis Fürnberg, Hans-Joachim Malberg, Bruno Apitz und Walter Janka. Zahlreiche Romane, Kinder- und Jugendbücher (u.a. Autor des Weimarer Knabe-Verlages), Drehbücher für Film und Fernsehen.
Literarische Auszeichnungen: Literatur-und Kunstpreis der Stadt Weimar, Nationalpreis der DDR, Preis der Filmkritiker, u.a. als erster deutscher Drehbuchautor für den Europäischen Filmpreis Felix nominiert, Goldene Ehrennadel der Stadt Weimar 2005.
Plötzlich gellte ein wilder, irrsinniger Schrei durch das Gewölbe. Die Felswände warfen ihn zurück, schriller und unmenschlicher.
Erich Freitag riss die Lampe herum. Grell traf der Schein das verzerrte Gesicht mit der Narbe. Einen großen, kantigen Stein beidhändig über den Kopf hebend, so stand der Mann nur einen Schritt entfernt vor ihm. Blitzschnell riss Freitag den Arm schützend hoch, da schlug der Besessene auch schon zu. Die Lampe zersplitterte. Erich Freitag spürte einen brennenden Schmerz über den Augen und stürzte besinnungslos zu Boden. Alles geschah in Sekundenschnelle. Hans Luck wollte seinem Kameraden zu Hilfe eilen, doch der Narbengesichtige zertrümmerte mit einem Fußtritt auch die zweite Lampe. Schwarze Finsternis hüllte alles ein. Immer noch klopfte Gantner drüben in der Spalte.
"Aufhören, du Hund!", brüllte der Mann mit der Narbe durch das Dunkel. Die anderen Männer hatten nun den Schock überwunden und schrien durcheinander. Viele schienen vom Wahnsinn des Narbengesichts angesteckt. Sie unterstützten seine Forderung laut und ohne zu überlegen. Die Furcht triumphierte, wurde Panik. Verzweifelt versuchten die bei klarem Verstand Gebliebenen die Stimmen des Irrsinns zu übertönen. Worte halfen nichts mehr. Fäuste schlugen zu. Kämpfende Männer wälzten sich am Boden.
Zwei sehnige, raue Hände umklammerten Hans Lucks Hals, schnürten ihm den Atem ab. Röchelnd rang er nach Luft. Seine Finger glitten suchend über die Erde, fanden einen scharfen Glassplitter von der zertrümmerten Grubenlampe. Mit letzter Kraft hieb er die Spitze in den Rücken des Würgers. Der Getroffene ächzte. Seine Hände lockerten für einen Augenblick den Griff. Der Junghauer konnte die würgenden Finger fassen und nach hinten biegen. Sein Gegner stöhnte auf und rollte seitwärts. In dieser Minute hätte sich Hans Luck rächen können für die Todesangst, aber er tat es nicht. Schnaufend und schwach von dem überstandenen Kampf kroch er dorthin, wo er die anderen Lampen vermutete. An die Erde gepresst, schob er sich vorwärts, den Kopf tief zwischen die Schultern ziehend, den linken Arm abwehrbereit erhoben. Ein eisenbeschlagener Stiefelabsatz stieß in seine Hüfte, er geriet in ein Knäuel keuchend miteinander ringender Männer, bohrte die geballte Hand in einen heißen Atem und kam endlich heraus aus dem chaotischen Getümmel. Hier muss es sein, dachte er und streckte den Arm aus. Er täuschte sich nicht. Seine Finger berührten das kalte Metall und suchten nach dem erbsengroßen Schaltknopf. In dieser Sekunde erscholl ein grausiges Lachen, so boshaft und abstoßend, dass sogar die heiseren Flüche ringsum verstummten. Gantner? Auch die Hammerschläge waren nicht mehr zu hören!
Das in der Hand des Junghauers aufflammende Licht entriss der Dunkelheit ein entsetzliches Bild. Niemand kämpfte weiter. Alle starrten hinüber zu der Felsspalte, ernüchtert und gelähmt vom Schreck. Es war der Mann mit der Narbe, dem das furchtbare Gelächter aus der Kehle quoll.
"Den Schädel schlage ich ihm ein, den Schädel!", schrie er und stierte in den Lichtschein. Er kniete auf dem in die Spalte gezwängten und zur Gegenwehr unfähigen Kumpel. Mit dem Hammer, den er Gantner entrissen hatte, drohte er herüber. Geifer sprühte ihm von den Lippen. "Keinen Schritt, hört ihr! Er hat geklopft, und ich bestrafe ihn ... Ich bestimme hier! Ich! Ich ... Ich bin der König! Ich bin das Steingesicht! Bettelt um euer Leben, los!"
"Wirf sofort den Hammer weg, Paul!" Ein Arbeitskamerad des Wahnsinnigen schrie ihm diesen Befehl zu. Ein höhnisches Gelächter war die Antwort. Die Männer, die noch vor Minuten von Panik ergriffen zum Töten bereit gewesen waren, empfanden jetzt erst die Schändlichkeit ihres Verhaltens. Sie konnten einander nicht ansehen. Der Mann, der gerufen hatte, wollte auf den Wahnsinnigen zugehen. Eine Hand hielt ihn zurück.
"Er bringt Gantner um!", flüsterte ihm Erich Freitag zu, der wieder auf die Beine gekommen war. Aus einer Platzwunde über seiner Nasenwurzel sickerte Blut. "Komm mit auf die andere Seite."

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