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Das Schiff läuft wieder aus


Das Schiff läuft wieder aus


1. Auflage

von: Ulrich Völkel

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 06.10.2015
ISBN/EAN: 9783956555336
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 263

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Ein Mann hat seine Erfahrungen gemacht, jetzt misst er sein Verhalten an der Wirklichkeit. Erfolg oder Versagen werden zum Gradmesser eigener Bewährung. Aus der kritischen Erinnerung an Vergangenes formt sich die Erkenntnis für künftige Lebensart, für menschliche Haltung.
Bei einer Provokation auf hoher See kommt der junge Matrose Bernd Sorowski ums Leben. Sein Kommandant, Kapitänleutnant Gollmann, fährt nach Plauen, um der Mutter die Nachricht vom Tod ihres Sohnes zu überbringen. Die Frage: Ich habe Bernd Sorowski gekannt, doch wer ist er wirklich gewesen, und wie war mein Verhältnis zu ihm? - zwingt Gollmann immer von neuem, darüber nachzudenken, was es heißt, Offizier einer sozialistischen Armee zu sein. Er gewinnt tiefe innere Einsichten in die Notwendigkeit, sich an jedem Tag und zu jeder Stunde so zu verhalten, dass Matrosen und Soldaten unbegrenztes Vertrauen in ihren Kommandeur und dessen Fähigkeit setzen können, jederzeit richtige Entscheidungen zu treffen.
Das Nachdenken über Bernd Sorowski, aufgelöst in erlebnisreiche Szenen, führt Gollmann schließlich auch zu einer Überprüfung seiner Beziehungen zu anderen Offizieren, zu seinem Schulfreund, dem Arzt Dr. Blankschön, und zu seiner Frau Ellinor, Schauspielerin am Rostocker Theater. - Ulrich Völkel zeichnet ein Bild der ständigen, vorwärtsschreitenden Entwicklung eines Menschen, für den Stillstand bereits Rückschritt bedeutet. Eingebettet in Vorgänge der sechziger Jahre aus dem Leben der Volksmarine, vermittelt er in dem erstmals 1975 erschienenen Buch Erkenntnisse, die weit über diesen Bereich hinausgehen.
Ulrich Völkel
1940 in Plauen/Vogtland geboren, Abitur 1959, danach zwei Jahre Militärdienst (NVA).
1961 Praktikum am Theater Putbus, 1962 Kulturreferent der Stadt Saßnitz, Leiter des Stadtkabinetts für Kulturarbeit in Schwerin
1963/65 Studium, Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Leipzig
1966 Oberreferent beim Rat des Bezirkes Schwerin, Abteilung Kultur, 1967/69 Dramaturg und Regieassistent am Staatstheater Schwerin
1969/71 künstlerischer Mitarbeiter des Generalintendanten am Volkstheater Rostock
Seit 1971 freier Schriftsteller, Herausgeber und Lektor, 1993 Gründung des RhinoVerlages (verkauft: 2006), seit 2013 Cheflektor im Eckhaus-Verlag Weimar
Seit November 2001 in Weimar ansässig
Autor, Mitverfasser oder Herausgeber von ca. 60 Büchern
Verheiratet, zwei Kinder.
Jochen lauschte. Kein Geräusch klang aus der Wohnung. Ob Mutter überhaupt zu Hause war? Er klingelte dreimal kurz. So hatte er immer geklingelt. Und da stand sie auch schon in der Tür. „Jochen, du?“ Sie hatte gleich gewusst, dass er es war. Sie hatte den ganzen Tag gespürt, dass ihr Sohn heute nach Hause kommen würde. Das geht einem manchmal so. Jedenfalls glaubt man hinterher, den ganzen Tag daran gedacht zu haben, so groß und überraschend ist die Freude.
Sie umarmten sich. Der Junge kam selten nach Hause. Rostock ist weit, und eigentlich - zu Hause war er dort seit Jahren schon. Aber für seine Mutter blieb er immer der kleine Junge, der irgendwann einmal heimkommen musste.
„Ich geb’ dem Fahrer schnell Bescheid. Er wartet noch, weil ich nicht wissen konnte, ob du wirklich da bist“, sagte Jochen.
„Du bist nicht mit der Bahn gekommen?“
„Nein“, erwiderte er, „dienstlich.“ Und er wusste, dass das nicht das rechte Wort war für seinen Auftrag.
Sie bemerkte seine Unruhe. „Ist was passiert?“
„Nein“, antwortete er, und er dachte: Man sieht es mir also an. „Ich geb’ bloß Bescheid.“ Und während er die Treppe hinabging, überlegte er, dass es nicht gut war, wenn man ihm das ansah. Die Frau würde sofort wissen, wenn er zu ihr ging, warum er kam.
„Fahren Sie in die Dienststelle, Genosse Ammer! Schlafen Sie sich aus. Morgen Punkt sieben hier.“
„Gut, Genosse Kapitänleutnant. Soll ich drinnen Bescheid sagen?“
„Ist nicht nötig, danke.“
Ammer fuhr zur Dienststelle. Jochen Gollmann ging wieder die Treppe hoch. Diesmal hatte Frau Falk gemerkt, dass jemand im Haus war. Sie kam mit Eimer und Lappen, die stets bereit standen. Früher hatte sie immer einen Vorwand gebraucht für ihre Neugier. Jetzt war es Gewohnheit geworden. Er grüßte sie freundlich. Sie wollte gleich ein Gespräch anfangen, aber er ging nach oben. Enttäuscht blickte sie ihm nach. Dann wischte sie über die unteren Stufen.
Die Mutter war fröhlich. Während sie ein kleines Abendbrot machte, stand er neben ihr in der Küche. Sie unterhielten sich. Manchmal blickte sie ihn unauffällig von der Seite an. Aber er merkte es und dachte: Als ob sie es weiß. Mütter wissen nicht alles, aber sie ahnen das meiste.
Er beobachtete sie und verglich ihre rührende Umständlichkeit mit Ellinors geschäftiger Eile. Das waren Dinge wie aus einer anderen Welt. Wann schon hatte er Zeit, zu Hause in der Küche zu stehen und zu sehen, wie ein Abendbrot für ihn zubereitet wurde? Er war Offizier. Der größte Teil seines Lebens spielte sich an Bord ab oder in irgendwelchen Dienstzimmern bei der Flottille. Er hatte die meiste Zeit Männer um sich. Trotzdem war es gut zu wissen, dass sein Leben auch anders verlaufen könnte. Manchmal war es nur ein mit viel Liebe zubereitetes Abendbrot, dass er sich sagte: Es muss sein, so hart der Dienst auch ist. Damit nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.
Und doch würde eine Mutter ihren Sohn beweinen - morgen. Morgen musste er zu der Frau gehen und es ihr sagen. Da stellte er sich vor, dass auch er es hätte sein können, der über Bord gerissen worden war und ertrunken. Ein anderer hätte dann diese Fahrt machen müssen nach Plauen zu seiner Mutter. Merkwürdig, die ganze Zeit war er nicht auf diesen Gedanken gekommen. Nun bemächtigte er sich seiner, und er erschrak bei der Vorstellung, dass ein Genosse gekommen wäre und gesagt hätte zu der Frau, die ihm so überrascht die Tür geöffnet hatte: Frau Gollmann, Ihr Sohn ist tot.
„Woran denkst du?“, fragte die Mutter. „Du wirst müde sein. Setz dich ins Zimmer. Ich bin gleich fertig.“ Er verließ die Küche, weil er nicht sehen wollte, wie liebevoll sie das Abendbrot zubereitete. Er setzte sich in einen Sessel. Aber er hatte keine Ruhe zu sitzen. Er musste sich bewegen. Er ging im Zimmer auf und ab, betrachtete das Aquarell, eine Herbstlandschaft. Ellinor hatte es ausgesucht. Es passte nicht nur gut ins Zimmer, es passte vor allem gut zu Mutter, diese herbe, einfache Schönheit.
Er blätterte in einem Buch. „Der Streit um den Sergeanten Grischa“. Fand Mutter überhaupt noch Zeit zum Lesen? Auf dem Tisch lag aufgeschlagen die Inventurliste. Sie hatte sich Arbeit mit nach Hause genommen wie meistens. Erst zu Hause habe ich Ruhe, sagte sie immer. Im Büro klingelt das Telefon, Kunden kommen, Kollegen haben Fragen, dienstliche oder private. Seit sie diese Außenstelle leitete, hatte sie noch mehr zu tun. Aber sie beklagte sich nicht. Je mehr sie arbeitete, desto weniger blieb ihr Zeit, über die leere Wohnung nachzudenken und über ihr Leben.

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