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Das geschminkte Chamäleon


Das geschminkte Chamäleon

Ein ironischer Roman aus dem alten Berlin
1. Auflage

von: Maria Seidemann

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 08.11.2014
ISBN/EAN: 9783956551512
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 239

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Was wird aus einer Revolution, wenn die Menschen, die sie gemacht haben, zu saturierten Kleinbürgern entarten, ihre Ideale vergessen und nur noch auf Ruhm, Reichtum, Karriere bedacht sind oder sich anarchisch gebärden?
Ironisch distanziert, fordert die Autorin in diesem Zeitgemälde der Jahre 1848 bis 1871 den Leser heraus, die Antwort auf diese Frage zu finden. Das Chamäleon, literarisches Symbol der Anpassung schlechthin, kommt zu allem Überfluß geschminkt daher: höchste Perfektion oder Anachronismus in Natur und Gesellschaft?
Dieser erste Roman Maria Seidemanns schildert fiktiv die Entstehung und Wandlung des ehemaligen Friedrich-Wilhelm-Städtischen Theaters in der Berliner Schumannstraße. So hätten die Geschichten der Leute, die mit diesem Theater, jeder auf eine andere tragikomische Weise, verbunden waren, sein können. Es ist kein Roman von historischer Authentizität, aber so die Autorin: »Es ist eine Geschichte von Aufstieg und Niedergang, sie ist traurig und komisch, außerdem ist sie wahr.«
Maria Seidemann wurde 1944 auf einem Güterbahnhof in Engelsdorf bei Leipzig geboren, lebte vier Jahrzehnte in Potsdam und ist am 7. September 2010 verstorben.
Sie war Historikerin und Archivarin, studierte außerdem am Leipziger Literaturinstitut und an der Potsdamer Filmhochschule.
Seit 1974 arbeitete sie als freie Autorin und schrieb Romane, Erzählungen, Drehbücher, Hörspiele, Lyrik, Kinderbücher...
Ihre Bücher geben besser über sie Auskunft, als diese mageren Zeilen.
Auszeichnungen (Auswahl):
1982 Debütpreis des Schriftstellerverbandes der DDR
1986 Theodor-Fontane-Preis
1987 Alex-Wedding-Preis der Akademie der Künste
1988 Internationaler Hörspielpreis Terre des Hommes
1991 Buxtehuder Bulle
1998 Ehm-Welk-Literaturpreis
1992 Stipendium der Stiftung Preußische Seehandlung
1996 und 1999 Stipendium des Kultusministeriums Brandenburg
2002 Stipendium des Sächsischen Staatsministeriums
Wilhelmine hat zwar früh das Rechnen, aber nie richtig schreiben gelernt.
Wie sollte sie auch. Sie ist nie zur Schule gegangen. Um so größer ist Wilhelmines Stolz auf ihre Söhne, die nicht nur acht Schuljahre, sondern eine ordentliche Lehre hinter sich brachten und tüchtige Männer geworden sind — wenigstens zwei von ihnen. Aber der eine von diesen beiden, der Wilhelm, sitzt jetzt im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess, dabei hat er gar nichts gemacht. Seine Meinung über die Kommunarden von Paris hat er auf Papier gedruckt, das hat er gelernt, er ist Drucker. Walther hat gesagt, das sei nach den Gesetzen Hochverrat und nach dem gesunden Menschenverstand eine Dummheit. Ein guter Sozialdemokrat muss nicht nur klug sein, sondern listig. Walther, der Wilhelmine seit zehn Jahren ein guter Mann ist und den Jungen im schwierigsten Alter ein geduldiger Vater war, der immer Zeit und Kraft fand, das Nötige für die Familie zu tun, der die Jungen nicht als Ungelernte hat gehen lassen, sondern weiter wie ein armer Mann lebte um ihrer Ausbildung willen, obwohl er Armut nicht mehr nötig hatte, seit er für die Zeitungen schrieb — Walther also weigert sich, ihr die Bittschrift an den Kaiser aufzusetzen. Er kann mit der Feder umgehen wie kaum einer. Aber ein Sozialdemokrat bettelt nicht beim Kaiser.
Was soll ich machen? fragt Wilhelmine ihren zweiten Sohn, den Friedrich, der aber nicht da ist. Sie hat ihm den Jungen der Nachbarin geschickt, er solle kommen und seiner Mutter raten. Denn seit gestern steht nichts mehr fest. Muss sie ihm nicht sagen, dass sein leiblicher Vater aufgetaucht ist? Dass seine Brüder gar nicht seine Brüder sind? Aber Friedrich ist anders als Wilhelm, Friedrich ist vorsichtig, er will hochkommen, möchte Vorarbeiter werden. Er hat eine ordentliche Frau und eine eigene Stube mit Küche, er kommt nicht, er wittert Ungelegenheiten.
Wilhelmine seufzt schwer und lässt sich, trotz Verbot, in einen der weißroten Sessel sinken. Sie ist es nicht gewohnt, so angestrengt nachzudenken und schon gar nicht über mehrere schwierige Angelegenheiten gleichzeitig. Dass der Wilhelm eingesperrt sitzt, ist die eine Sache. Die zweite: Am gestrigen Tage kam dieser Amerikaner mit seinen Dollars. Und drittens — das ist das Verwirrendste: Bernhard ist wieder aufgetaucht, Wilhelmines ordentlich angetrauter Ehemann. Bernardini nennt er sich jetzt, und es scheint, als habe er den Verstand verloren in all den Jahren, da er sich in der Welt herumtrieb. Bernhard verlangt, dass Wilhelmine ihn wieder aufnimmt. Nach zweiundzwanzig Jahren! Mit einem Revolver hat er ihr vor der Nase herumgefuchtelt, dieser Verrückte.
Was soll Wilhelmine mit einem Verrückten? Sie hat genug Sorgen mit dem armen Napoleon, ihrem dritten Sohn, der nicht ganz richtig ist im Kopfe. Kann denn eine Frau überhaupt mit zwei Männern leben? Natürlich wird sie Walther nicht fortschicken, obwohl sie keineswegs vorm Altar mit ihm getraut ist.
Ach, warum ist Walther jetzt nicht da? Er weiß immer, was zu tun ist. Aber Walther ist nach Leipzig gefahren, wo Bebel und Liebknecht vor Gericht stehen, wegen Hochverrat wie Wilhelm. Sie haben ihre Meinung über die Pariser Kommunarden in eben der Zeitung drucken lassen, für die Walther nun über den Prozess berichten soll. Wilhelmine ahnt, dass daraus neues Unheil für ihre Familie entstehen wird. Ach, ach! Die Zeitung wird nicht zugrunde gehen, wenn einmal, ein einziges Mal, ein anderer fährt! Aber Walther behauptet, das sei Ehrensache, er verdanke Liebknecht alles.
Alles! Und ihr, Wilhelmine, verdankt er wohl nichts? Hat sie ihn etwa fortgeschickt, als er vor zehn Jahren aus Italien kam, zu Fuß über die Alpen und nordwärts bis Berlin?
Nie konnte Wilhelmine nein sagen, wenn jemand Hilfe brauchte. Natürlich hat sie Walther erst einmal ausschlafen lassen, hat seine Sachen gewaschen und geflickt und ihm was gekocht. Und eh’ sie sich versah, war sie seine Frau. Dabei kam er eigentlich nur, um ihr auszurichten: Bernhard ist am Leben, und Wilhelmine soll so treu auf ihn warten, wie er der Revolution dient.
Und dafür, denkt Wilhelmine kopfschüttelnd, dafür dieser weite Weg durch den kalten deutschen Herbst?
Wahrscheinlich brauchte Walther nur diesen Vorwand, um nach Berlin heimzukehren. Was suchte ein Mann wie er in einem italienischen Kloster? War er denn, als die Kommunistenprozesse begannen Anfang der fünfziger Jahre, aus Deutschland geflohen, um als Bruder Pförtner sein Leben zu beschließen? Er, der schon mit Weitling im Bund der Gerechten gearbeitet hatte und später im Bund der Kommunisten!

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