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Bert, der Einzelgänger


Bert, der Einzelgänger


1. Auflage

von: Brigitte Birnbaum

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 24.09.2011
ISBN/EAN: 9783863942144
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 143

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Der vaterlos aufwachsende Bert verliert durch eine tückische Krankheit auch seine Mutter und soll nun zur Großmutter, die er noch nie gesehen hat. Die alte, vom Leben gebeutelte Frau will den Jungen nicht. Erst als sie erfährt, wer ihn dann bei sich aufnehmen würde, sagt sie zu. Die beiden haben es schwer miteinander, verstehen sich nicht. Das Dorf ist Bert fremd, seine bisherigen Freunde leben in der Stadt und in der neuen Schule gibts nur Schwierigkeiten. Warum und wie sich das Blatt für den einsamen Jungen wendet, erzählt das Buch.

LESEPROBE:
Eine Uhr, dachte Bert, eine Armbanduhr müsste ich haben. Rotfuchs hat eine von seinem Vater zum Geburtstag bekommen. Jeder will mit ihm befreundet sein. Wenn ich eine Uhr hätte, müssten sie zu mir kommen, wenn sie wissen wollten, wie lange es noch bis zur Pause ist.
Die Tafel leuchtete schwarz und feucht. Bert legte den Schwamm in den Kasten. Er trat in die Bank, in der Rotfuchs sonst saß und zog dessen Büchertasche hervor. Bert wusste, in ihr lag die Uhr. Sie lag immer da, wenn sie Sport hatten. Die hellbraune Ledermappe war nicht verschlossen. Bert griff hinein. In seiner Hand tickte es. Er dachte nicht darüber nach, was er tat, so sehr beseelte ihn der Wunsch, eine Uhr zu besitzen. Hastig verstaute er die Tasche wieder an ihrem Platz. Die Uhr steckte er zwischen seine Bücher und ging hinaus.
...
"Mensch, meine Uhr ist weg!" Fritz Wiesental wühlte aufgeregt zwischen seinen Büchern und Heften.
"Vielleicht liegt sie im Waschraum? Hast du sie beim Händewaschen vergessen?"
"Quatsch! Ich habe sie gar nicht mit runtergenommen; gleich hier reingesteckt habe ich sie." Rotfuchs zeigte mit der Hand in die Tasche.
Sein Freund sah ihn groß an. "Warte, wir suchen nochmals alles durch."
Beide Jungen kramten die Tasche aus und krochen unter die Bank. Bald suchten alle. Nur Bert hockte da und beschäftigte sich mit seinem Erdkundeheft. Er bemühte sich, ein paar Eselsohren zurückzubiegen. Niemand fand es ungewöhnlich, dass er sich nicht um sie kümmerte. Er schloss sich immer aus.
Bärbel hatte einmal gesagt: "Der ist genauso komisch wie seine Großmutter."
Keiner hatte bemerkt, dass Fräulein Schwelich seit einigen Augenblicken in der Tür stand. Da sagte sie fast drohend: "Was ist das für ein Lärm?"
Rotfuchs schrie: "Meine Uhr ist geklaut! Hier aus der Tasche!" Er war so erregt und wütend, dass er zitterte.
"Deine Uhr? Gestohlen?" Fräulein Schwelich vergaß das übliche "Guten Tag".
Brigitte Birnbaum
Geboren 1938 in Elbing/Westpr., 1945 Flucht über Berlin nach Mecklenburg, Abitur, Ausbildung als Apothekenhelferin, Studium am Institut für Literatur in Leipzig (Diplom), Antiquarbuchhändlerin.
Seit 1968 freischaffende Schriftstellerin in Schwerin. Seit 1969 Mitglied im Schriftstellerverband der DDR, seit 1974 Mitglied im Bezirksvorstand, seit 1978 Mitglied im Vorstand des DSV. Nach seiner Auflösung Mitglied des VS/IG Medien, 2001 ausgetreten.
Sie lebte von 1960 bis 2003 in Schwerin, seit 2003 in Hamburg, seit 2013 wieder in Schwerin.
Auszeichnungen:
1977: Fritz-Reuter-Preis des Bezirkes Schwerin
1985: Kunstpreis der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft
Bibliographie:
Bert, der Einzelgänger, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1962
Reise in den August, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1967
Leute von Karvenbruch (Mitautorin am Szenarium), DFF 1968
Tigertod, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1969
Pawlucha, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1970
Nur ein Spaß, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1971
Der Hund mit dem Zeugnis, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1971
Wer ist Fräulein Papendiek?, Fernsehfilm für Kinder, DFF 1972
Tintarolo. Ein Buch für Kinder über Käthe Kollwitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1975, Tallinn 1980, Berlin-West 1981
Winter ohne Vater, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1977
Ab morgen werd ich Künstler, Kinderbuch über Heinrich Zille, Berlin 1978, Tallinn 1987, Berlin-West 1986
Alexander in Zarskoje, Kinderbuch über Alexander Puschkin, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1980
Löwen an der Ufertreppe, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1981
Das Siebentagebuch, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1985
Kathusch, Jugendbuch über Käthe Kollwitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1986
Fragen Sie doch Melanie!, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1987
Von einem, der auszog, neue Eltern zu suchen, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1989
Der Maler aus der Ostbahnstraße, Jugendbuch über Hans und Lea Grundig, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1990
Das Schloss an der Nebel, Erzählung, Landesverlags- und Druckgesellschaft mbH Mecklenburg & Co. KG, Schwerin 1991
Spaziergänge durch Güstrow, Ein Stadtführer, Verlag Reinhard Thon, Schwerin 1992
Welche Stadt hat schon 7 Seen? in: Kleine Bettlektüre für liebenswürdige Schweriner, Scherz Verlag, Berlin/München/Wien 1993
Wider die kleinen Mörder, Kiro-Verlag, Schwedt 1994
Fontane in Mecklenburg, Demmler Verlag, Schwerin 1994
Ernst Barlach. Annäherungen, Demmler Verlag, Schwerin 1996
Noch lange kein Sommer, Verlag Reinhard Thon, Schwerin 1998
Eine Uhr, dachte Bert, eine Armbanduhr müsste ich haben. Rotfuchs hat eine von seinem Vater zum Geburtstag bekommen. Jeder will mit ihm befreundet sein. Wenn ich eine Uhr hätte, müssten sie zu mir kommen, wenn sie wissen wollten, wie lange es noch bis zur Pause ist.
Die Tafel leuchtete schwarz und feucht. Bert legte den Schwamm in den Kasten. Er trat in die Bank, in der Rotfuchs sonst saß und zog dessen Büchertasche hervor. Bert wusste, in ihr lag die Uhr. Sie lag immer da, wenn sie Sport hatten. Die hellbraune Ledermappe war nicht verschlossen. Bert griff hinein. In seiner Hand tickte es. Er dachte nicht darüber nach, was er tat, so sehr beseelte ihn der Wunsch, eine Uhr zu besitzen. Hastig verstaute er die Tasche wieder an ihrem Platz. Die Uhr steckte er zwischen seine Bücher und ging hinaus.
...
"Mensch, meine Uhr ist weg!" Fritz Wiesental wühlte aufgeregt zwischen seinen Büchern und Heften.
"Vielleicht liegt sie im Waschraum? Hast du sie beim Händewaschen vergessen?"
"Quatsch! Ich habe sie gar nicht mit runtergenommen; gleich hier reingesteckt habe ich sie." Rotfuchs zeigte mit der Hand in die Tasche.
Sein Freund sah ihn groß an. "Warte, wir suchen nochmals alles durch."
Beide Jungen kramten die Tasche aus und krochen unter die Bank. Bald suchten alle. Nur Bert hockte da und beschäftigte sich mit seinem Erdkundeheft. Er bemühte sich, ein paar Eselsohren zurückzubiegen. Niemand fand es ungewöhnlich, dass er sich nicht um sie kümmerte. Er schloss sich immer aus.
Bärbel hatte einmal gesagt: "Der ist genauso komisch wie seine Großmutter."
Keiner hatte bemerkt, dass Fräulein Schwelich seit einigen Augenblicken in der Tür stand. Da sagte sie fast drohend: "Was ist das für ein Lärm?"
Rotfuchs schrie: "Meine Uhr ist geklaut! Hier aus der Tasche!" Er war so erregt und wütend, dass er zitterte.
"Deine Uhr? Gestohlen?" Fräulein Schwelich vergaß das übliche "Guten Tag".
...
"Wer hatte heute Ordnungsdienst? Wer war in der großen Pause oben?", wollte Fräulein Schwelich wissen. Ihre Blicke wanderten forschend über die Kinder.
"Ich." Die Antwort kam von Bert. Er saß hinten allein auf einer Bank. Zweiundzwanzig Köpfe wandten sich nach ihm um.
"Hast du gesehen, dass ein Fremder in der Klasse war?"
"Nein."
"Steh auf, wenn ich mit dir rede!", herrschte Fräulein Schwelich den Jungen an. In Berts Augen begann es zu flackern. Er erhob sich langsam wie ein alter Mann, den das Reißen plagt.
"Du hast also nicht gesehen, dass jemand an Fritz' Tasche war?"
"Nein. Glauben Sie denn, ich hätte zugesehen, wie der die Uhr nimmt und damit abhaut?"
"Komm einmal nach vorn", forderte Fräulein Schwelich ihn auf.
Bert kam sehr gemächlich. Er musste seine Hosentaschen umkrempeln. Kreide, Bindfäden, ein Taschenmesser und ein paar bunte Murmeln fielen auf den Tisch, aber keine Uhr. Fräulein Schwelich ging zu Berts Platz und durchsuchte seine Sachen. Nachlässig lehnte sich Bert vorn mit dem Rücken an die Wand. Nichts war in seinem Gesicht zu lesen. Die Lehrerin fand nicht, was sie suchte. Bert durfte sich wieder setzen. Er lächelte boshaft.
Fräulein Schwelich ließ sich alle Taschen zeigen. Sie fand keine Uhr. Dann bestimmte sie: "Jetzt erst einmal zur Erdkunde. Fast die Hälfte der Stunde ist bereits verloren. Anschließend bleibt ihr hier, und die Sache wird geklärt."
Der lange Peter hängte die Karte von Deutschland auf. Bald darauf wurde Bert abermals nach vorn gerufen. Er sollte etwas über den Harz erzählen.
"Der Harz ist ein Gebirge ...", begann er zögernd, stockte und suchte den Harz im Alpenvorland. In der Klasse wurde gekichert.
Die Lehrerin trat näher zur Karte. "Du hast wohl wieder nicht gelernt? Wie stehst du überhaupt da. Zieh dir die Strümpfe hoch." Berts rotgrün karierte Kniestrümpfe ringelten sich, halb heruntergerutscht, um seine Beine. Er tat, als hörte er nicht, was von ihm verlangt wurde.
"Du sollst dir die Strümpfe hochziehen!" Fräulein Schwelich wurde langsam ungeduldig. Bert erblasste. Unruhig gingen seine Augen. Er rührte sich nicht.
"So viel Frechheit ist mir noch nicht begegnet. Ich schreibe dir einen Tadel ein! Zieh jetzt die Strümpfe hoch!"
Bert bückte sich und zog erst den linken und dann den rechten herauf. Am rechten Bein blieb eine Beule, als habe er dort einen hässlichen Auswuchs. Er versuchte, das Bein ein wenig zu verstecken. Doch Fräulein Schwelich machte schon große Augen.
"Was hast du da im rechten Strumpf?", fragte sie erstaunt und stand sogleich neben ihm. Sie fasste zu und holte aus dem Strumpf die gesuchte Uhr.
Bert, der schwarzhaarige Junge vor der bunten Landkarte, sagte kein Wort. Er presste die Lippen fest aufeinander.
"Fritz, ist das deine Uhr?", fragte Fräulein Schwelich langsam. In der Klasse wurde es still, unheimlich still. Mancher wünschte sich jetzt, es sollte nicht Fritz Wiesentals Uhr sein, wenn sie Bert auch sonst nicht mochten ...
Doch Fritz Wiesental antwortete schon: "Ja! Schwarzes Zifferblatt mit Leuchtzahlen und rotes Lederarmband. Das ist sie!"
Da brüllten sie alle los: "Dieb! Dieb! Du Spitzbube!"
"Bitte Ruhe!" Fräulein Schwelich hatte ihr Gleichgewicht wiedergefunden. "Sage mal, Bengel", fragte sie, "schämst du dich nicht? Faul und frech bist du und jetzt bestiehlst du auch noch deine Mitschüler?"
Berts Augen wurden schmal und lauernd. "Beweisen Sie erst einmal, dass ich gestohlen habe", sagte er verstockt.
...
Bert saß seit einer Viertelstunde auf einem Stuhl im Lehrerzimmer. Fräulein Schwelich lief vor ihm auf und ab. Sie versuchte, ihn dazu zu bringen, damit er seine Tat eingestand.
"Du bist also an Fritz' Tasche gegangen und hast die Uhr herausgenommen?", fragte sie nun schon zum vierten Male, "wenn du nicht antwortest, schicke ich dich zum Direktor!"
Bert schwieg. Er hatte gesehen, dass der Direktor bereits fortgegangen war.
...
Herr Hartwig trat ein und legte einen Stoß Biologiearbeiten auf den Tisch, die er eben in seiner Klasse hatte schreiben lassen. Er stutzte, begriff aber nach wenigen Minuten, dass hier Bert verhört wurde.
"Warum hast du die Uhr genommen?", fragte Herr Hartwig. Seine Stimme klang eindringlich. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Bert. "Du hast es doch nicht ohne Grund getan?"
Bert hob den Kopf und schaute den jungen Lehrer an, dann senkte er den Blick. Er hatte das Gefühl, Karl Hartwigs graue Augen sahen in ihn hinein. Plötzlich schämte er sich vor diesen grauen Augen.
"Ich wollte auch eine Uhr haben!" Bert wagte nicht aufzusehen. "Rotfuchs hat einen Vater, der kann ihm eine neue kaufen. Ich habe keinen!"

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